Narrentreiben: Ein Fall für Hubertus Hummel (Hubertus Hummel-Reihe) (German Edition)
Korridor schien rein zu sein. Zum Glück hatten die meisten Kollegen über Fasnet Urlaub genommen. Nur sein Chef, da war er sich sicher, schlich irgendwo herum. Kurz verfluchte der Kommissar seine Frau. Wieso hatte sie ihn auch zu dieser blöden Kneipentour in Rottweil überreden müssen?
Als er sein Büro betrat, schallte ihm ein fröhliches »Guten Morgen« entgegen. Müller verzog das Gesicht. Die helle Stimme von Kriminaloberkommissar Brüderle löste einen heftigen, kurzen Kopfschmerz bei ihm aus. Jetzt spürte er wieder den Kater. Auch das Sodbrennen und das Durstgefühl meldeten sich wieder.
»Morgen«, erwiderte Müller und bemühte sich um eine selbstsichere Miene. »Was machen Sie denn schon hier? Ich denke, Sie haben noch Urlaub?« So was Blödes, jetzt hatte er auch noch eine kratzige, verschlafen wirkende Stimme.
»Der Fall hat mir einfach keine Ruhe gelassen.« Oberkommissar Brüderle hatte ein leichtes Lächeln auf den Lippen, das Müller als anmaßend empfand. Und dann hatte der auch noch an seinem Schreibtisch Platz genommen, als wolle jetzt er die Leitung der Soko übernehmen.
Am liebsten hätte er den Kriminaloberkommissar gemaßregelt. Aber jetzt, da Brüderle immer wieder auf die Wanduhr starrte, musste er sich wohl zurückhalten.
»Tja, ist wohl alles doch komplizierter, als wir gedacht haben«, sagte Müller, legte seine Tasche ab und goss sich eine Tasse Kaffee ein. »Haben Sie den gekocht?«
Brüderle nickte und räumte den Schreibtisch. Müller trank und verzog das Gesicht. Die schwarze, schlierige Brühe schmeckte bitter. Er warf dem Kollegen einen kurzen, scharfen Blick zu. Der wusste doch ganz genau, dass Müllers labiler Magen keinen starken Kaffee vertrug. Jetzt wollte er ihn wohl noch vergiften, um an seinen Posten zu kommen!
»Sie hätten Ihren Urlaub fortsetzen können. Es gibt nichts Neues in dem Fall«, stellte Müller fest. Den Kaffee trank er mit Todesverachtung. Ihn wegzuschütten kam nicht infrage. Diese Genugtuung wollte er dem Oberkommissar nicht gönnen.
»Wirklich nichts Neues?«, fragte der Kriminaloberkommissar mit einem ironischen Unterton in der Stimme. Er schien seit seinem Kurzurlaub noch mehr Oberwasser zu haben.
»Nichts!«, sagte Müller im Befehlston.
»Während Ihrer Abwesenheit heute Morgen … hat sich etwas ereignet, das ich durchaus als eine interessante Neuigkeit bezeichnen würde.« Brüderle schien die Situation richtig auszukosten.
Müller senkte den Blick auf die grüne Schreibtischauflage. Ganz ruhig bleiben, Stefan, sagte er sich.
»Heute in der Früh hat Frau Gremmelsbacher versucht, sich das Leben zu nehmen!«
»Was? Wann … wann ist es passiert?«
»Heute Morgen gegen fünf Uhr. Sie hat versucht, sich zu erhängen.«
Brüderle war immer noch über Müllers Schreibtisch gebeugt. Seine Augen waren scharf auf seinen Chef gerichtet.
»Und warum hat mich keiner benachrichtigt?« Müllers Tonfall wurde schärfer, und seine Stimme war schon weniger rau.
»Das haben die Kollegen ja versucht. Aber bei Ihnen ging niemand ans Telefon. Auch das Handy war abgeschaltet. Da haben die Kollegen eben mich angerufen. Frau Gremmelsbachers Nachbarin hat heute Morgen gegen fünf ein Stöhnen gehört und die Polizei alarmiert.« Brüderles Lächeln wechselte ins Arrogante.
Hauptkommissar Müller wich den Augen des Kontrahenten aus, suchte wieder das neutrale Grün der Schreibtischauflage.
»Wir haben bei Freunden übernachtet«, sagte er leise.
Verdammt, jetzt fühlte er sich wie bei einem Verhör.
»Ihre Privatsache, Chef. Geht mich ja absolut nichts an«, sagte Brüderle in jovialem Ton und schnalzte genüsslich mit der Zunge.
»Und wie geht es Frau Gremmelsbacher?«
»Sie hat überlebt. Momentan ist sie noch auf der Intensivstation und nicht ansprechbar.«
Müller tippte mit seinen Fingern nervös auf seinem Laptop herum.
Brüderle starrte immer noch seinen Chef an: »Aber das war noch nicht alles.«
Jetzt platzte dem Hauptkommissar der Kragen: »Hören Sie, Brüderle, ich finde Ihr Verhalten heute Morgen äußerst merkwürdig. Wenn Sie etwas wissen, was ich nicht weiß, dann rücken Sie jetzt mit der Sprache raus! Ich bin immer noch Ihr Vorgesetzter – auch wenn Sie hier Intrigen spinnen!«
Brüderle schien von Müllers Gefühlsausbruch unbeeindruckt. Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken und wanderte in Mülles Büro umher.
»Frau Gremmelsbacher hat einen Abschiedsbrief hinterlassen, der eine Wendung in den Fall bringt. Sie
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