Naschkatze
Versagerin ich bin.
»Okay, ich rufe Roberta von der Personalabteilung an und mache einen Termin für dich aus. Aber ich warne dich, Lizzy, das ist kein leichter Job. Klar, du hast nicht viel mehr zu tun, als Telefongespräche weiterzuleiten. Doch da
gibt’s einen Haken. Die Kanzlei meines Dads ist auf Scheidungen und Eheverträge spezialisiert, die Klienten sind sehr anspruchsvoll, die Anwälte furchtbar nervös. Meistens geht’s da ziemlich stressig zu. Das weiß ich, weil ich im Sommer nach dem High School-Abschluss in der Poststelle gejobbt habe, und das war der reinste Horror.«
Das alles höre ich nur mit halbem Ohr. »Gibt’s eine Kleiderordnung? Muss ich Strumpfhosen tragen? Die hasse ich.«
Chaz seufzt. »Das wird Roberta dir sicher erklären. Sag mal – mach jetzt bloß kein großes Aufhebens drum, aber weißt du, was mit Shari los ist?«
Sofort bin ich ganz Ohr. »Mit Shari? Nein. Warum? Wovon redest du?«
»Ich begreif’s nicht...« Plötzlich sieht er jünger aus als seine sechsundzwanzig Jahre. Er ist nur um drei Jahre älter als Shari und ich, aber in manchen Dingen um Lichtjahre. Wahrscheinlich passiert so was, wenn man ein Kind in der wichtigen Zeit zwischen dem achten und dem sechzehnten Lebensjahr in ein Internat steckt. Nun, vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Jedenfalls würde ich mein Kind nicht wegschicken, so wie Chaz’ Eltern das gemacht haben, nur wegen seines Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms. »Anscheinend kann sie gar nicht aufhören, von ihrer neuen Chefin zu reden.«
»Von Pat?« Diese Pat-Storys habe ich auch schon bis zum Überdruss gehört. Jedes Mal, wenn ich mit Shari telefoniere, schwärmt sie von den Heldentaten ihrer fabelhaften Chefin.
Natürlich ist es kein Wunder, dass ihr diese Lady imponiert. Immerhin hat Pat viele Hundert, womöglich sogar
Tausend Frauen vor häuslicher Gewalt gerettet und ihnen neue Unterkünfte beschafft.
»Das weiß ich«, sagt Chaz, als ich ihn darauf hinweise. »Und es freut mich, dass Shari so begeistert von ihrem Job ist. Aber ich sehe sie kaum noch. Sie arbeitet nur noch. Nicht nur von neun bis fünf, auch abends und an manchen Wochenenden.«
»Hm...« Bedauerlicherweise werde ich langsam nüchtern. »Ich glaube, sie will einfach nur am Ball bleiben. Nach allem, was sie mir erzählt, muss ihre Vorgängerin ein Chaos hinterlassen haben. Shari meint, sie würde Monate brauchen, um alles in Ordnung zu bringen.«
»Ja, das hat sie erwähnt.«
»Du solltest stolz auf Shari sein. Bedenk doch, deine Freundin hilft mit, die Welt ein bisschen zu verbessern.« Im Gegensatz zu mir. Und zu dir, müsste ich hinzufügen, denn Chaz arbeitet nur auf seinen Dr. phil. hin. Allerdings will er mal Lehrer werden. Das ist bewundernswert, ich meine, den Geist junger Menschen zu formen und so. Zweifellos bedeutsamer als alles, was ich jemals tun werde...
But young Girls, they get weary... Okay, ich muss aufhören, ständig an diesen Song zu denken.
»Klar, ich bin ja auch stolz auf sie«, versichert Chaz. »Ich wünschte nur, sie würde ein bisschen weniger arbeiten.«
»Wow!« Ich lächle ihn an. »Wie süß! Offensichtlich liebst du deine Freundin.«
Er wirft mir einen sarkastischen Blick zu. »Nun, vielleicht leide ich ja an einer Persönlichkeitsstörung.«
Lachend versuche ich seine Schulter zu boxen. Aber er duckt sich.
»Und wie läuft’s mit dir und Luke?«, will er wissen.
»Abgesehen von dem schandbaren Geheimnis, das du ihm verschweigst, nämlich deine klägliche Armut? Wie kommt ihr miteinander aus?«
»Großartig.« Soll ich ihn fragen, was ich mit Lukes Mom machen soll? Der Kerl mit dem französischen Akzent hat inzwischen eine weitere Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen – zutiefst gekränkt, weil Bibi nicht am »üblichen Ort« erschienen ist. Seinen Namen hat er wieder nicht genannt, aber angekündigt, er würde erneut auf sie warten.
Bevor Luke von der Universität nach Hause gekommen ist, habe ich die Nachricht gelöscht. So was will ein Junge nicht hören, wenn’s um seine Mutter geht.
Dass ich nicht damit herausgeplatzt bin, sobald Luke zur Tür hereingekommen ist, betrachte ich als Zeichen meiner neuen Reife. Und meiner erstaunlichen Fähigkeit, den Mund zu halten.
Und Chaz erzähle ich’s auch nicht – ein zusätzlicher Beweis für die unglaubliche Selbstbeherrschung, die ich mir in New York City angeeignet habe.
Stattdessen teile ich Chaz mit: »Ich wende immer noch die Methode ›Kleines Waldtier‹
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