Naschkatze
gibt’s nur ein einziges Badezimmer. Und da steht auch mein kleiner Plastikkasten …
»Also sind Sie in der Verwaltung tätig?«, fragt Mrs. de Villiers.
»Nein, ich bin die Empfangsdame. Soll ich meine Toilettenartikel aus dem Badezimmer entfernen? Das kann ich tun. Tut mir leid, wenn der Eindruck entsteht, mein Zeug würde überall herumstehen. Ja, ich weiß, es ist eine ganze Menge. Aber ich kann’s woandershin...«
»Machen Sie sich deshalb keine Sorgen«, fällt sie mir ins Wort. Inzwischen hat sie ihren ersten Champagner getrunken und hält ihrem Mann das leere Glas hin, um es noch einmal füllen zu lassen. »Wann kommt Jean-Luc nach Hause?«
O Gott, es ist so grauenhaft. Nicht nur sie fragt sich, wann Luke hier auftauchen wird. Das will ich auch wissen.
Irgendjemand muss uns vor diesem peinlichen Schweigen retten... Moment mal, Monsieur de Villiers schaltet den Fernseher ein. Dem Himmel sei Dank, wir können die Nachrichtensendung sehen oder sonst was …
»O Guillaume, schalt das aus!«, befiehlt seine Frau. »Wir wollen doch die Kinder besuchen – und nicht CNN sehen.«
»Aber ich muss wissen, wie das Wetter wird«, beharrt er.
»Das siehst du, wenn du aus dem Fenster schaust«, meint seine Frau verächtlich. »Es ist kalt, wir haben November. Was erwartest du?«
Nein, ich ertrage es nicht. Ich werde sterben. Das weiß ich. Als ich erklärt habe, ich sei eine Empfangsdame, sah Mrs. de Villiers sichtlich enttäuscht aus. Weil sie sich nicht vorstellen kann, dass ihr Sohn mit einer Empfangsdame zusammenlebt? Sicher, seine letzte Freundin war eine Investmentbankerin. Aber älter als ich! Nun ja, um zwei Jahre. Aber sie hat ihr Studium abgeschlossen – Betriebswirtschaft. Ich habe Kunst studiert. Ist das so schlimm?
Um Himmels willen – dieses drückende Schweigen. Neiiin... Okay, lass dir einfallen, was du sagen kannst. Irgendwas. Das sind ganz tolle, intellektuelle Leute. Über irgendwas muss ich doch mit ihnen reden können... Ah, jetzt weiß ich’s. »Mrs. de Villiers, ich liebe Ihren Renoir. Der über dem Bett hängt.«
»Oh...« Endlich scheint Lukes Mutter etwas aufzutauen. »Dieses kleine Bild? Danke. Ist es nicht zauberhaft?«
»Zweifellos, ich liebe es«, antworte ich wahrheitsgemäß. »Wo haben Sie das denn her?«
Träumerisch schaut sie aus dem Fenster, das zur Fifth
Avenue hinausgeht. »Das hat mir jemand geschenkt. Vor sehr langer Zeit.«
Um zu wissen, dass der »Jemand« ein Liebhaber gewesen ist, muss ich nicht Gedanken lesen. Eine andere Möglichkeit gibt es gar nicht. Wie sollte ich mir die Sehnsucht in ihren Augen denn sonst erklären?
Könnte es derselbe Mann sein, der ständig im Apartment anruft und nach ihr fragt?
»Eh...«, murmle ich, weil ich sonst nichts zu sagen weiß. Lukes Vater scheint nichts zu merken und wechselt vom Kanal New York 1 zu CNN. »Hübsches Geschenk.«
Das Teuerste, was ich jemals bekommen habe, war ein iPod. Von meinen Eltern.
»Ja.« Mrs. de Villiers lächelt katzengleich und nippt an ihrem Champagner. »Nicht wahr?«
»Schau doch!« Monsieur de Villiers zeigt auf den Fernseher. »Siehst du? Morgen wird’s schneien.«
»Machen wir uns deshalb keine Sorgen«, erwidert seine Frau. »Wir müssen nirgendwo hingehen. Hier haben wir’s warm und gemütlich.«
O Gott. Ist es wirklich wahr? Wir werden den ganzen Tag hier drin herumhängen, während ich koche (hoffentlich mit Lukes Hilfe). Und seine Eltern... Um Himmels willen, was werden sie denn tun? Fernsehen? Werden sie sich die Macy’s-Thanksgivings-Parade anschauen? Die Football-Spiele? Irgendwie habe ich das Gefühl, sie interessieren sich weder für die Parade noch für Football.
Das bedeutet, dass sie einfach nur herumsitzen werden. Den ganzen Tag. Und allmählich werden sie mir die Seele aussaugen mit ihren wohlmeinenden, aber letztlich bissigen Kommentaren... Wirklich, Lizzie, Sie sollten Anwaltsgehilfin
werden. Da würden Sie viel mehr verdienen als jetzt, wo Sie nur eine Empfangsdame sind. Was? Eine zertifizierte Spezialistin für Brautkleider? Ist das ein Beruf? Davon habe ich ja noch nie gehört. Nun ja, es stimmt, bei meinem Kleid, das ich bei Vickys Hochzeit getragen habe, haben Sie wahre Wunder vollbracht. Aber das ist wohl kaum eine Karriere für eine Frau, die studiert hat. Ich meine – sind Sie etwa eine akademische Näherin? Wollen Sie das ganze Geld vergeuden, das Ihre Eltern für Ihre Ausbildung bezahlt haben? Macht Ihnen das denn gar nichts aus?
Nein! Weil meine
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