Naschmarkt
mich entdeckt, lächelt er mich an.
»Sie sehen aus, als hätten Sie eine Frage, gnädige Frau.«
Alle Gäste drehen sich zu mir um. Bestimmt siebzig Augenpaare sind auf mich gerichtet.
»…ei.«
»Wie bitte?«
Ich räuspere mich.
»Absatz sieben, Punkt zwei. Was steht dort?«
Ein Raunen geht durch die Menge. Glahnz’ blaue Augen ruhen auf mir. Nach einigen Sekunden blättert er in seinem Buch, sucht nach der Stelle und fährt mit fester Stimme fort.
Feit musste sich an der Tischkante festhalten. Alles Blut schien aus seinem Kopf in den Magen geströmt zu sein. Es sammelte sich dort zu einem heißen Klumpen.
»Das konnte ich nicht wissen.«
Der Klang seiner eigenen Worte war ihm fremd, als würde er sie gar nicht selbst sprechen. Kuppitschek ließ sich von Gutfreund den Stapel Papier reichen und deutete auf die verschmierte, rote Unterschrift auf der letzten Seite.
»Ist das Ihre, Herr Gold?«
»Ja, aber …«
»Ihr Name, in Herzblut geschrieben. Ich verstehe Ihre Reklamation nicht.«
Gutfreund warf ihm einen mitleidigen Blick zu und legte den Zeigefinger an seine Lippen, als Zeichen, dass Feit besser still sein sollte.
»Es sei denn«, fuhr Kuppitschek ungerührt fort, »Sie haben Absatz sieben, Punkt zwei nicht gelesen.«
Feit senkte den Kopf und starrte auf seine Schuhspitzen, die in diesem Moment auch U-Boote hätten sein können.
»Ich darf aus der entsprechenden Passage zitieren:
›
Der Unterzeichnende verpflichtet sich hiermit, ausschließlich im Interesse der Firma
KUPPITSCHEK
zu handeln. Er garantiert, für die Dauer des Dienstverhältnisses selbst keinerlei Liebesbeziehung einzugehen und der Liebe generell abzuschwören‹ et cetera. ›Hält er sich nicht an diese Vereinbarung oder benutzt sogar absichtlich die Dienstleistungen von
KUPPITSCHEK
zur Erfüllung eigener Liebesinteressen, behält sich der Arbeitgeber vor, das Dienstverhältnis ohne Angabe von Gründen fristlos zu kündigen oder mit sofortiger Wirkung Maßnahmen zu ergreifen, die weitere Verstöße verhindern.‹«
Kuppitschek fixierte Feit aus seinen schwarzen Augen und reichte Gutfreund den Vertrag.
»Ich gebe Ihnen eine zweite Chance, Herr Gold. Vergessen Sie die Stimme der Frau, verbannen Sie sie aus Ihren Gedanken, sie ist nicht für Sie bestimmt. Robin wird Ihnen eine neue Aufgabe stellen. Erfüllen Sie sie zu unserer Zufriedenheit, ist Ihr Fehler verziehen.«
»Und wenn nicht?«
Kuppitschek, der sich bereits wieder dem Fenster zugewandt hatte, um auf seine Stadt hinunterzublicken, hielt mitten in der Bewegung inne.
»Stellen Sie uns nicht auf die Probe, Herr Gold!
KUPPITSCHEK
hat größeren Einfluss, als Sie denken. Ich wünsche einen schönen Tag!«
Mir sanfter Gewalt schob Gutfreund Feit aus dem Büro. Als sich die Tür mit einem endgültigen Geräusch hinter ihm schloss, ergriff die Taubheit ihn mit voller Wucht. Eine Stimme am Telefon, nicht mehr, und trotzdem wusste er mit absoluter Gewissheit, dass vom heutigen Tag an nichts so sein würde wie vorher.
Denn Liebe hinterlässt Spuren in den Gedanken. Man kann sie nicht löschen oder in den Spam-Ordner verschieben. Liebe ist Wachstum im Inneren.
Ein kollektives Aufseufzen geht durchs
Pies & Pages,
gefolgt von stürmischem Applaus. Die letzten paar Sätze hat Glahnz nicht gelesen, sondern auswendig zitiert und mich dabei direkt angesprochen.
Liebe hinterlässt Spuren in den Gedanken.
Nachdem ich die entsprechende schlechte Metapher jahrelang in diversen Romanen lesen musste, weiß ich nun endlich, wie es sich anfühlt, wenn man Knie hat, die weich wie Butter sind.
»Vielen Dank!« Glahnz klappt
Amors Feder
zu und legt das Buch beiseite. »Und nun darf ich die Frau zu mir bitten, die so sehr ans Wachstum glaubt, dass sie sich immer zu große Schuhe kauft. Ihr Dating-Blog hat in den vergangenen zwei Monaten das ganze Land in Atem gehalten, und nicht wenige von Ihnen warten mit Spannung auf das Ende ihres Experiments. Ich ersuche um einen Applaus für die Journalistin der Stunde, Dotti Wilcek!«
Die Menschen im Lokal erheben sich von ihren Stühlen und klatschen frenetisch in die Hände. Stella, Katharina, Rita und Christine strahlen mich an, und Ramy johlt lauthals, bis Stella ihn in die Seite boxt. Irgendwo bellt ein Hund. Nur meine Füße wollen sich nicht regen. Es ist Sorina, die mir schließlich eine Hand auf die Schulter legt, sich zu mir beugt und mir ins Ohr flüstert: »Das ist deine Show, Dotti, genieße sie!« Lächelnd schubst sie
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