Naschmarkt
vermutlich sieht er in einer Badehose blendend aus.
»Hast du ihn gefunden?«
»Wen?«
»Deinen Song.« Er tippt mir vorsichtig mit der Fingerkuppe an die Stirn. »Die Musik in dir drinnen, wenn alles still ist.«
»Ich kann den Klang der Stille hören.«
»Und welche Frage stellt er dir?«
Wir sehen uns schweigend an.
»Darf ich kurz stören?«
Ertappt wende ich mich von Glahnz ab und der Frau zu, die vor mir steht.
»Annili!« Ich nehme die alte Dame in den Arm. Sie drückt mich und strahlt, als hätte sie soeben selbst einen Preis bekommen.
»Ich gratuliere, Dotti. Sie haben die Auszeichnung verdient.«
»Ohne Sie hätte ich die wichtigsten Kurven nicht gekriegt.«
Annili blickt zu Glahnz, der damit begonnen hat, Bücher zu signieren, und lächelt. »Darf ich Sie noch um etwas bitten, Dotti?«
»Natürlich.«
»Es geht um eine junge Dame, die ein Geständnis zu machen hat. Seien Sie ihr nicht böse, ja?« Annili dreht sich um und winkt. Zuerst kann ich nicht erkennen, wem. Erst als sich die schmale Gestalt zwischen den vielen Lesungsbesuchern durchschiebt, sehe ich zu meiner Überraschung, dass es sich um Miki handelt. Mit leuchtend roten Wangen bleibt die kleine Japanerin vor mir stehen.
»Dotti …«
»Miki, wo warst du? Ich habe dich schon vermisst.«
»Dotti, bitte hör zu.« In ihren Worten klingt Verzweiflung durch. »Letzte Woche, als du auf dem Weg ins
EIGHT
warst, wollte ich es dir sagen. Aber du hattest es eilig.«
Ich erinnere mich an den ernsten Ausdruck in den Augen meiner Freundin, als sie mich an der Türe festgehalten hat. Ich sehe sie fragend an.
»An dem Tag, als du das Blind Date hier hattest, mit diesem Typen …«
»Anton Fischler«, helfe ich ihr.
»Ja, richtig, Anton, da war doch noch jemand im Lokal. Er hat mich nach dem Buch
Amors Feder
gefragt.« Vage entsinne ich mich eines Mannes im Schatten der Bücherregale und einer bekannten Stimme. »Und als du wieder zu Fischler gegangen bist, hat der Mann mir Fragen gestellt. Fragen über dich. Ob es ein Lied gibt, das du magst. Über deine Kindheit. Und was das Riesenrad für dich bedeutet. Dotti«, fügt sie schnell hinzu, als ich den Mund öffne, um etwas zu erwidern. »Er war so sympathisch und so ehrlich interessiert an dir. Da habe ich es ihm verraten.« Sie senkt den Kopf, wodurch ihre dunklen Haare einen traurigen Vorhang links und rechts von ihrem Gesicht bilden. »Ich weiß, die Geschichte vom Riesenrad war ein Geheimnis, und es tut mir schrecklich leid. Als die Rätsel anfingen, wollte ich es dir sagen, aber du warst so verändert, so glücklich. Als hättest du etwas gefunden, das du gar nicht gesucht hast. Ich dachte mir, vielleicht tut es dir ja gut … Und dann habe ich ihn im Fernsehen gesehen, in der Show, mit dir zusammen.«
Ich sehe zu Glahnz hinüber, der meinen Blick erwidert, ehe er von Evelyn Scherkovski in Beschlag genommen wird.
»Du weißt doch, Dotti«, sagt Miki sehr leise, »ich glaube an Happy Ends.« Eine Träne rinnt ihre Porzellanwange entlang. Zum vierten Mal, seit ich sie kenne, sehe ich Mikage Ito weinen.
Ich nehme meine Freundin in den Arm. Annili, die immer noch neben uns steht, streicht Miki übers Haar.
»Es ist alles gut«, flüstere ich Miki ins Ohr.
»Und das Happy End?«
Glahnz, der die Scherkovski abwimmeln konnte, tritt wieder zu mir. Ich mustere ihn skeptisch.
»Wir werden sehen.«
»Kommen Sie, Mikage«, sagt Annili und nimmt Miki an der Hand. »Sie müssen mir noch die Foto-App herunterladen, von der Sie mir erzählt haben. Nicht Telegramm, sondern
Instagram,
richtig? Außerdem hat Stella mir versprochen, dass sie mir ein paar griechische Schimpfwörter beibringt, und Ramy wollte Orange Schokomuffins besorgen.«
Der Hund, der das ganze Gespräch über brav bei ihr gestanden hat, kläfft zum Zeichen, dass er die Bedeutung der Worte verstanden hat, und zieht Annili und Miki mit Hilfe der Leine in Richtung meiner Freunde. Ich sehe ihnen nach, der Frau im geblümten Kleid und ihrem pelzigen Gefährten. Sie wirken so zufrieden.
Wie hat Ramy gesagt?
Glück ist für jeden etwas anderes.
Ich taxiere Glahnz und frage mich, ob Annili eines Tages nach New York reisen wird. Ob das tatsächlich der einzige unerfüllte Traum in ihrem Leben ist? Und was ist mit meinem Traum? Wohin zeigt mein Kompass?
»Fertig gedacht?«
»Ja.«
»Gut. Dann möchte ich dir etwas schenken.«
Er hält mir ein Exemplar von
Amors Feder
hin.
»Das Buch, das du nicht lesen wolltest.«
»Wer sagt
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