Nasenduscher: Roman (German Edition)
gerade meinen Abschluss gemacht.«
»Und da dachten Sie, da Sie nun ein Papier in der Hand halten, können Sie auch mal schnell eine Familie gründen?«
»Nein, das war Zufall.«
Ich erkenne zwei Dinge. Erstens, dass Dina unter erhöhtem Speichelfluss leidet und sich mittlerweile ein handtellergroßer, feuchter Fleck in meinem Schritt gebildet hat, und zweitens, dass ich mich hier vor einem blinden Nazigreis rechtfertige. Nicht ich, sondern er sollte aufgrund seiner Anschuldigungen ein schlechtes Gewissen haben. Oder ahnt er am Ende doch etwas von dem Bluff?
»Zufälle gibt es bei so was nicht«, tönt er und lässt seine Hand auf die gepolsterte Armlehne krachen. »Nur Nachlässigkeit und Schlamperei führen zu solchen Ergebnissen. Menschen wie Sie sollten sich nicht reproduzieren dürfen.«
Ich erspare mir die Antwort. Schließlich habe ich einen Grund, warum ich hier bin. Ich brauche etwas von ihm, und da wäre es taktisch unklug, sich auf eine Grundsatzdiskussion mit ihm einzulassen. Ich muss Geduld haben.
»Warum sind Sie überhaupt hier?«
Na also. Endlich kann ich meine zurechtgelegte Geschichte auspacken.
»Ich habe eine Bitte. Ich engagiere mich bei der Freiwilligen Feuerwehr und beim Katastrophenschutz. Wir sind abhängig von Spenden …«
»Von mir bekommen Sie keinen Cent.«
»Es geht nicht nur um Geld. Für unsere Hundestaffel benötigen wir Geschirr. Stellen Sie sich nur vor, dass deutsche Touristen irgendwo bei einem Einsatz … äh, Urlaub durch ein Erdbeben verschüttet werden. Ihre Spende könnte dazu beitragen, deutsches Leben zu retten.«
»Sie wollen also kein Geld?«
»Nein. Aber wenn Sie noch alte Leinen und Ähnliches von Dina haben, würde uns das sehr helfen.«
Jablinski schließt die Augen, was meine Gedanken kurzzeitig wieder abschweifen lässt. Warum macht er das? Und was ändert sich dadurch? Sieht er dadurch noch dunkler? Konzentrier dich, Robert!
»Gut, Herr Süßemilch. Ich schulde Ihnen noch was. Und ich bin ein Ehrenmann. Meinetwegen können Sie das Zeug haben. Aber dann sind wir wieder quitt.«
»Absolut.«
»Das Zeug liegt draußen in einem Karton im Schrank. Suchen Sie sich raus, was Sie brauchen. Alles ist noch tadellos in Schuss. Dina ist aus den Sachen nur rausgewachsen.«
»Danke, Herr Jablinski.«
Augenblicklich stehe ich auf und suche mir aus dem Karton das passende Material aus. Da Romeo ein verdammt großer Kater ist und Dina keine besonders große Hündin, könnte es passen. Ich nehme neben dem Geschirr noch ein Halsband und eine Leine mit. Außerdem finde ich noch einen weißen Teleskopblindenstock. Perfekt! Ich habe alles, was ich brauche.
»Haben Sie es gefunden?«
»Ja«, rufe ich aus dem Flur. »Damit helfen Sie uns sehr, Herr Jablinski.«
»Soll mir recht sein. Sie finden den Weg nach draußen allein?«
»Ja.«
»Dann noch einen schönen Tag.«
»Ihnen auch.«
Ich stelle den Karton zurück in den Schrank und will mich zur Tür begeben, als noch einmal die Stimme von Herrn Jablinski ertönt.
»Sagen Sie, Herr Süßemilch. Ihr Nachname? Süßemilch?«
»Ja, was ist damit?«
»Ist das jüdisch?«
»Ja. Meine Urgroßmutter väterlicherseits war Jüdin.«
Es folgt ein verächtliches Lachen und ein halbherziges Räuspern.
»Dachte ich mir.«
Die Hand bereits an der Türklinke, verharre ich einen Moment. Ich atme so tief und so gut es meine Nase zulässt. Aber ich kann das so nicht stehen lassen. Obwohl ich katholisch bin und weder mit der einen noch der anderen Religion besonders viel am Hut habe, mag ich eines überhaupt nicht: jegliche rassistischen Untertöne gegen welche Religion auch immer. Seit wir hier wohnen, nervt mich dieser Mann mit seinen Äußerungen über Türken, Chinesen, Franzosen und den italienischen Pizzaauslieferer. Und seit dem Tag unseres Einzugs juckt es mich, Herrn Jablinski etwas ganz Bestimmtes zu sagen. Es fiel mir auf, als er das erste Mal mit Dina aus dem Haus ging und sie mit Namen rief. Und nun ist der richtige Zeitpunkt gekommen.
»Ach, mir fällt gerade noch etwas Witziges ein, Herr Jablinski«, rufe ich.
»Etwas noch Witzigeres als Ihr Nachname?«
»Ja, Sie werden sich totlachen. Meine Urgroßmutter … Wissen Sie, wie die mit Vornamen hieß?«
»Na, wie hieß sie wohl?«
»Sie hieß Lea. Sie wissen schon, die erste Frau Jakobs, des Stammvaters der Israeliten.«
»Nein, weiß ich nicht, weil es mich auch nicht interessiert.«
»Oh, das sollte Sie aber interessieren. Denn genau diese Lea hatte
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