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Nasenduscher: Roman (German Edition)

Nasenduscher: Roman (German Edition)

Titel: Nasenduscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Boltz
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beschissenste Stück Hemdstoff an den Leib zu zimmern, das es für Geld zu kaufen gibt. Hauptsache, es funkelt schön und lässt die Kreditkarte freudig im Dreivierteltakt hüpfen. So trägt das Kalinkamännchen über dem paradiesvogelbunten Hemd einen kackbraunen Armani-Anzug, der seine sowieso schon blasse Gesichtsfarbe in ein traumhaftes Pathologieweiß taucht.
    Doch die eigentliche Lichtgestalt am Tisch ist die Schwiegertochter. Ich schätze sie auf Anfang dreißig. Vielleicht auch sechzehn oder sechzig. Sie ist ebenso wenig einzuordnen wie ihre Frisur, die sie in roten Strähnen zu einer Art Haarburka tief ins Gesicht gekämmt trägt. Über den Tisch weht mir ein schwerer Parfümduft entgegen, der nur teilweise von ihrem nuttigen Make-up abzulenken weiß. Ihre auffälligsten Erscheinungsmerkmale sind unzweifelhaft ihre Monsterbrüste, die sie bereitwillig in ein ausladendes Schaufenster gestellt hat. Der Fachmann tippt hier auf großzügig bemessene Silikonkissen. Ich zucke vor Phantomschmerz mit dem Mundwinkel, da das Dekolleté des Kleids eine tiefe Linie zwischen Stoff und Brustfleisch schneidet. So was muss doch höllisch wehtun. Dazu schimmern die Warzenvorhöfe ihrer Brüste in sichelförmigen Halbbögen hervor und signalisieren unmissverständlich, dass wie bei einem Eisberg der weitaus größere Teil sich unterhalb der Oberfläche befindet. Es ist wie bei einem Verkehrsunfall: Es ist nicht schön, aber so ganz kann man sich dem Schrecken auch nicht entziehen und schaut doch immer wieder hin. Um es mir aber mit der Tischrussenmafia nicht ganz zu verscherzen, spreche ich ihren blassen Ehemann höflich an. Gestenreich stellt er sich als Wladimir vor, und ich merke, dass keiner der Familie auch nur ein einziges Wort Englisch spricht. Jedoch stellt sich heraus, dass es sich nicht um Russen, sondern um Ukrainer handelt. Ich teile halbherzig mein gesamtes Wissen über die Ukraine mit, was sich auf vier Faktoren beschränkt: die Brüder Klitschko, Andrej Schewtschenko, Tschernobyl und eine Fußballmannschaft mit dem unaussprechlichen Namen Dnjepr Dnjepopetrowsk. Warum ich mir ausgerechnet diesen Namen merken konnte, ist mir selbst ein Rätsel. Es tritt eine Schweigeminute ein, die sich über die nächste Viertelstunde ausdehnt und nur durch zweimaliges Niesen meinerseits unterbrochen wird. So sitzen wir stumm im Kreis um unseren Tisch herum und warten auf unser Essen. Es erinnert mich an meine Kindergartenzeit, und so schaue ich ab und an hinter mich, um zu sehen, ob vielleicht einer der Animateure hinter mir den Plumpssack hat fallen lassen. Dann unterbricht der Armani-Sohnemann das Gruppenschweigen.
    »Schwester, Anna, Solingen, Deutschland, gut?«
    Wladimir scheint mir mit dieser Aufzählung von Substantiven zu verdeutlichen, dass seine Schwester ebenfalls in Deutschland lebt und er von mir wissen möchte, ob Solingen ein adäquates Pflaster für sie zum Leben sei.
    »Solingen? Ahhh.« Meine Antwort klingt dabei so, als sei Solingen der Mittelpunkt der modernen Zivilisation. Doch was soll man außer einem wohlgemeinten »Ahhh« noch über Solingen sagen? Krampfhaft durchforste ich mein Gedächtnis unter dem Suchbegriff Solingen . Ich spiele auf Zeit.
    »Solingen«, wiederhole ich erneut. Meine Taktik lautet Hinhalten. Doch auch die zweite Nennung des Städtenamens gepaart mit anerkennendem Nicken bringt mir nicht die erhoffte Eingebung. Mir wird klar, dass meine Kenntnisse über Solingen noch geringer sind als die über die Ukraine. Also belasse ich es bei einem nichtssagenden Kompliment mit hochgestrecktem Daumen. »Solingen. Ja, Stadt, gut.«
    Zu meiner Rettung kommt endlich das Essen. Der Rest des Dinners ist zäh und kalt. Nicht die Speisen, die Stimmung. Zu allem Überfluss hat man nun auch noch damit begonnen, das Restaurant zur Rettung der Eisskulptur dermaßen herunterzukühlen, dass ich befürchte, dass dem tuckigen Schwan am Eingang die Tränen an den dicken Eiern festfrieren könnten.

28
    Barbekanntschaften
    D ie Martinibar befindet sich in einem Zwischendeck oberhalb des Kasinos und unterhalb der Panoramabar. Ein Pianist entlockt den Tasten hier in einer Endlosschleife die immer gleichen neun bekannten Melodien, und die acht handverlesenen Gäste votieren es mit höflichem Applaus nach jedem Stück. Da ein Großteil der Anwesenden über ein Mindestmaß an Demenz verfügen dürfte, stört das überschaubare Repertoire des Schwarz-Weiß-Virtuosen hier scheinbar keine Sau. Ich habe einen Platz an

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