Nasenduscher: Roman (German Edition)
können. Hinzu kommt, dass ich meine brennenden Augen kaum öffnen kann. Nicht wegen des Kicks, sondern weil mir ein Teil der Salzlösung ins Auge gelaufen und dort getrocknet ist. Außerdem glaube ich, etwas riechen zu können, das ich so noch nie wahrgenommen habe. Dieses verdammte Salz macht einen ja richtig high. Eine bewusstseinserweiternde Droge. Ich setze mich auf, schiebe Romeo beiseite und versuche, zu mir zu kommen. Es riecht streng und intensiv. Der Geruch erinnert mich weniger an Essen als an … Kotze. Auf allen vieren krieche ich los und folge dem Geruch. Doch irgendwie folgt der Geruch mir. Seltsam. Ich schaue an mir herunter und erkenne den Auslöser des Gestanks. Romeo hat mich vollgekübelt und danach alles mit seinem haarigen Schwanz im Bad verteilt. Na prima.
Mit einem feuchten Handtuch wische ich mich ab und die Überreste vom Boden auf.
»Romeo, du verdammtes Drecksvieh«, schimpfe ich. Doch Romeo stört sich nicht weiter daran. Er flüchtet vor dem Handtuch und springt auf den Toilettendeckel.
»Du kannst mich doch nicht vollkotzen. Wenn du seekrank bist, gehen wir zum Arzt. Aber bitte nicht einfach …«
Der Rest des Satzes bleibt mir im Hals stecken. Entsetzt starre ich den Kater an, der gerade meinen trockenen Entzug einleitet. Voller Inbrunst schleckt Romeo die zwei restlichen Häufchen Nasenduschensalz auf.
»Nein! Nein! Neiiiin!« Ich schreie auf, weiß aber im selben Augenblick, dass es bereits zu spät ist, um auch nur ein einziges Körnchen zu retten. Kochsalz zum Strecken mag ja noch funktionieren – aber wenn vom eigentlichen Stoff gar nichts mehr zum Strecken da ist, was dann?
Ich sinke in die Ecke meines PVC -Palasts, und eine Träne fließt einsam über meine Wange in den Mund. Sie schmeckt salzig. Es ist fast makaber.
30
Frühstück mit Tiffany
N achdem alles aufgewischt ist und ich geduscht habe, ist es kurz vor sieben. Noch eine Stunde, bis ich mich mit Tiffany an der Rezeption treffen werde. Wir wollen gemeinsam frühstücken. Der blonde Pornostar und der Blinde. Es gibt schlechtere Gesellschaft an Bord. Im Anschluss muss ich allerdings dringend den Arzt um Rat fragen, was man gegen kotzende Kater unternehmen kann. Und dann steht heute der erste Landgang an. Wegen Romeos Unpässlichkeit und als Strafe, weil er meinen restlichen Stoff aufgeleckt hat, lasse ich ihn in der Kabine und wähle stattdessen heute meinen weißen Blindenstab als Lügenhilfe beim Frühstücksgang. Dachten viele der Mitreisenden, ich sei ein arroganter Schnösel, der selbst in geschlossenen Räumen eine Sonnenbrille trägt, erkennen sie mich nun endgültig als Blinden und somit als einen der ihren an. Ein Passagier unterhalb einer körperlichen Einschränkung von vierzig Prozent ist eine rar gesäte Ausnahme an Bord.
»Hi, Robert«, höre ich Tiffany, die mit ihrem Sohn auf einer Couch Platz genommen hat. Sie trägt High Heels und einen Minirock, der mehr zeigt, als er verbirgt. Allerdings hebt sie nur kurz den Kopf von der heutigen Ausgabe der New York Times , in der sie gerade blättert. Tiffany sieht an diesem Morgen ungefähr so frisch und spritzig aus wie mein vollgekotztes Bad.
»Hi, Tiff, was ist los?«, frage ich und setze mich etwas unbeholfen neben sie.
»Mir ist so übel. Wenn das so weitergeht, möchte ich nach Hause. Ach, das ist übrigens Jerry.«
»Hi, Jerry.«
Ihr Sohn bringt mir die gleiche Reaktion entgegen, die ich meist von Kindern ernte. Er dreht sich schweigend von mir weg. Diese kleinen Menschen spüren offensichtlich meine Abneigung ihnen gegenüber.
»Nimm es ihm nicht übel, Robert, er hat schlecht geschlafen. Wo ist Romeo?«
»Ihm geht es ähnlich wie dir. Können wir kurz zur Rezeption, Tiff? Ich muss etwas fragen.«
»Klar, kein Problem.«
Wir gehen die wenigen Meter rüber zur Rezeption, wo ich die anwesenden Damen und Herren anhand ihrer Namensschilder scanne. Und tatsächlich. Anne-Kathrin Huber trägt neben der englischen Flagge auch eine deutsche auf ihrem Namensschild, was ihre Zweisprachigkeit symbolisiert.
»Guten Tag, sprechen Sie zufällig Deutsch?«, heuchle ich in ihre ungefähre Richtung.
»Ja. Wie kann ich Ihnen helfen?«, sagt Frau Huber.
»Mein Name ist Süßemilch von Kabine 2011. Wo finde ich bitte den Arzt auf dem Schiff? Und wann kann ich einen Termin dort bekommen?«
»Einen kleinen Moment, Herr Süßemilch. Ich schaue nach.«
Frau Huber stammt augenscheinlich aus der tiefsten bayerischen Provinz. Trotz aller Bemühungen, ihren
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