Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
rein, wie er es nicht für möglich gehalten hätte, und die beiden Sonnen leuchteten in grellem Schein. In der klaren Luft war nichts, was die Farben von Miraval, orange, und Cetus, schneeweiß, hätte trüben können. Wenn er die Augen zusammenkniff, konnte er sogar den dünnen Faden aus orangefarbener Materie ausmachen, mit dem sie verbunden waren, so als sei der kleinere Cetus bereits im Begriff, die größere Sonne zu sich herüberzuziehen und in sich aufzunehmen. Saiph erschauderte, und seine Arme erstarrten. Noch nie zuvor war er so ungeschützt dem Licht der Sonnen ausgesetzt gewesen. Jetzt war es unmöglich, sich ihrem Blick zu entziehen. Eine Furcht überkam ihn, eine Art Urangst, denn er erkannte die ganze zerstörerische Gewalt dieses lautlosen Krieges der Sonnen.
Ebenso spürte er, dass die heiße grelle Strahlung seine Haut angriff. Aber unter diesen Bedingungen würde er seine Reise fortsetzen müssen. Einen Augenblick lang dachte er, dass es ein Glück war, Talitha nicht bei sich zu haben. Vielleicht war es besser, dass ihr der Weg, der nun vor ihm lag, erspart blieb.
Er zog den Schal noch ein wenig höher ins Gesicht, atmete tief die Aromen des Aritella-Gelees ein und beugte sich zu Mareth nieder.
»Glaubst du, du wirst mich so weit tragen können?«, flüsterte er ihm ins Ohr.
Der Drache schnaubte aus den Kiemen beiderseits seines Halses, über die er auch dort mit Atemluft versorgt wurde, wo andere Lebewesen erstickt wären. Saiph nahm es als ein Ja.
»Gut, dann los!«, rief er und gab ihm die Sporen. Mareth hob von der Klippe ab, und bald glitten sie geschwind über die endlose Ebene hinweg.
Einen Tag lang veränderte sich die Landschaft nicht. War die Ebene Saiph schon beim ersten Anblick grenzenlos vorgekommen, so schien sie sich nun unter ihnen ins Unermessliche auszudehnen. Meile um Meile überquerten sie, doch gab es um sie herum nichts als dieses blendende Licht und einen weißen Raum. Die dunklere Linie am Horizont war gleich zu Anfang verschwunden und nicht wieder aufgetaucht. Irgendwann hatte Saiph den Drachen niedriger fliegen lassen, weil er das Gefühl hatte, das Fliegen strenge Mareth in der Höhe noch mehr an. Von Wasser, wie Verba es erwähnt hatte, keine Spur, folglich auch nicht von Vegetation und Nahrung.
Tiere schien es nicht zu geben. Nur ein einziges Mal, während des Nachtlagers, beobachtete Saiph, wie vor ihm über den Boden ein kleines Insekt krabbelte, der Rückenpanzer von einem schillernden Grün und mit einer Unzahl von Beinchen ausgestattet, die aufgeregt zappelten. Das Insekt war fingernagellang – und allein. Saiph fragte sich, was es fraß, was es trank, wo seine Artgenossen waren. Er selbst versorgte sich mit den Früchten, die er unterwegs im Verbotenen Wald gesammelt hatte, und dem Wasser, das er mit sich führte. Er hatte alles streng rationiert, jeden einzelnen Schluck, und er und sein Drache tranken nie mehr, als lebensnotwendig für sie war.
Trotz allem war Mareth bald sehr viel erschöpfter, als er hätte sein dürfen. Ständig keuchte er, und daher kamen sie langsamer vorwärts. Offenbar waren seine Kiemen unter diesen Extrembedingungen doch nicht in der Lage, ihn mit ausreichend Atemluft zu versorgen. Allerdings war Mareth ein Tier des Verbotenen Waldes, und diese Kiemen waren Relikte einer fernen Vergangenheit, ein verkümmertes Organ, das seine Art schon seit Jahrhunderten nicht mehr einzusetzen brauchte.
Die Stille, bei Tag und bei Nacht, war total. So ein völliges Fehlen von Geräuschen hätte Saiph vorher niemals für möglich gehalten, die Stille war so allumfassend, dass sie fast in den Ohren dröhnte. Auch Saiphs Schritte erzeugten nicht mehr als ein sanftes Scharren auf dem harten, ausgedorrten Boden. An einem Abend hatte er versucht, ein Loch zu graben. Aber an einem der Risse schaffte er nicht mehr als eine kleine Vertiefung in der allerobersten Schicht. Darunter war nur noch dieser weiße, undurchdringliche Boden.
Nun verstand er auch, warum dieser Ort nur der Namenlose genannt wurde: In einer derartigen Einöde schien sogar für Bezeichnungen kein Platz zu sein. Was hatte ein Name für einen Sinn, wenn es nichts zu benennen gab? Alles war und blieb gleich, das Einzige, was sich änderte, war das Licht, das dem trägen Tagesablauf folgte: rötlich im Morgengrauen, unerbittlich weiß bei zur sechsten Stunde, violett bei Sonnenuntergang.
Als Saiph schon glaubte, bald wahnsinnig zu werden, tauchte endlich wieder diese dunkle feine
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