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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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aus dem Küchenschubladenvorrat. »Friedel. Das H kommt vor dem N.«
    »Nicht beim Wort Nashville«, sagte Friedel und angelte nach einem Flyer, der hinter ihm auf dem Fensterbrett in einem Haufen anderer Flyer lag. »Wenn ich weiter mit ihm übe, gehst du dann nächsten Donnerstag mit ins Sudhaus? Wird ja Zeit, dass du die Orte kennenlernst, an denen man feiern kann. Und da spielt eine Band, die MASHVILLE heißt. Das halbe Leben ist ein Zufall, die zweite Hälfte besteht aus Koinzidenzen.
Country meets Electronic

    »Das Netz geht wieder!«, rief Thierry und kam in die Küche, Laptop in der Hand. »Wie habt ihr das gemacht?«
    Nashville saß oben in seinem Nest aus Kabeln wie ein merkwürdiger Vogel. Er zuckte die Schultern, kletterte herunter und stellte sich neben Svenja. Wir können gehen, sagte sein Blick.
     
    Das Akkordeon schwieg eine Woche lang. Aber es wurde jeden Tag sauberer.
    Nashville schleppte es fast immer mit sich herum und polierte die Knöpfe und Tasten.
    Er tauchte am Tag nach der ersten friedelschen Unterrichtsstunde von selbst in der Ulrichstraße drei auf, Friedel rief Svenja an, um es ihr mitzuteilen. Von da an übte er beinahe jeden Nachmittag mit Nashville unter dem Tisch Buchstaben.
    Svenja hörte Nashville jetzt nicht mehr nachts aus seinen Albträumen aufschrecken. Der Grund war einfach: Sie träumte ihre eigenen Albträume – von zugreifenden Dunkelästen und Schritten im Unterholz, von einer niemals endenden Flucht, einem niemals endenden asphaltierten Fahrradweg an niemals endenden Schrebergärten entlang. Von einer unbekannten Frauenstimme:
Bleib hier!
    Am Nachmittag des Sudhauskonzerts fand sie Nashville nicht unter dem Tisch. Sondern darauf. Sie war nach einem Unikurs erschöpft in ihre Wohnung gefallen, und da stand er, auf dem Küchentisch, und hielt einen roten Filzstift in der Hand. Er sah sie an wie jemand, der mit etwas fertig ist. Triumphierend.
    Unter dem Tisch lagen mehrere andere rote Filzstifte, kappenlos, leer. Svenja war sich relativ sicher, dass es in der Ulrichstraße drei keine roten Stifte mehr gab.
    Alle Wände der Wohnung waren mit Buchstaben verziert, übereinander, sich kreuzend, sich manchmal ineinander verheddernd: eine Tapete aus Buchstaben.
NASHVILLE NASHVILLE NASHVILLE NASHVILLE .
    Sie waren also beim E angekommen.
    Svenja lehnte eine Weile im Türrahmen und betrachtete das Kunstwerk. Nashville hatte weder im Flur noch im Schlafzimmer eine einzige Wand frei gelassen, er musste Stunden gearbeitet haben. Der Vermieter würde sich wundern.
    »Das ist … sehr schön«, sagte Svenja etwas bemüht. »Das ist brillant. Hör mal, ich lege mich jetzt einen Moment hin. Und dann gehe ich zu dieser Party, zu der Friedel unbedingt will. Ich glaube, ich muss dringend auf eine Party gehen und etwas trinken.«
     
    Das Sudhaus lag etwas außerhalb der Stadt.
    Es lag im Regen.
    In dem Moment, in dem Nashville vom Tisch gestiegen war, fertig damit, seine Identität an sechzehn Wände zu schreiben und seine Existenz zu beweisen, in diesem Moment brach die Schönwetterfront über Tübingen auf und ließ die Wassermassen der letzten drei Wochen über die alten Dächer strömen wie eine am Telefon erfundene Sintflut.
    Svenja trat mit hochgekrempelter Hose die Pedale des gelben Fahrrads in Richtung Konzertbeginn. Das riesige schwarze Regencape, das Kater Carlo ihr geborgt hatte, war an den Nähten durchlässig. Er und Thierry hatten noch Platz bei jemandem im Auto gefunden. Friedel, der vor Svenja fuhr, hatte gar kein Cape, sondern ein paar Löcher in eine blaue Mülltüte geschnitten.
    So schoben sie ihre Räder durch die Unterführung beim Sudhaus, ein seltsames Paar in Himmelblau und Höllenschwarz. Auf der anderen Straßenseite standen Gipsfiguren hinter einem Maschendrahtzaun: Rehkitze, Kühe, Giraffen und Jesusse, manche überlebensgroß, viele grellbunt angemalt.
Terrakotta Parkplätze
, erklärte ein Schild am Zaun.
    Parkplätze aus Terrakotta? Nein, offensichtlich hieß der Laden so. Svenja überlegte, ob sie bei Gelegenheit einen neonfarbenen Gips-Jesus kaufen und in ihren Küchenschrank stellen sollte. Verkehrt herum natürlich.
    Das Sudhaus, ein Stück weiter rechts, bestand aus einem Bilderbuch-Spitzdachhaus und einer unübersichtlichen Anzahl von Gebäuden, die sich dahinter versammelt hatten. Ganz hinten, in einer halb offenen Scheune, rußte ein Grill. Es roch nach verregneten Würstchen und Gewitterbier.
    Sie fanden das Konzert in einem der oberen Räume.

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