Nasses Grab
»Ich hätte sie so viel fragen wollen, David!«
Anděl legte einen Arm um ihre Schultern und wischte ihr zärtlich die Tränen von den Wangen.
»Sie hat Sie zur Welt gebracht, Magda, sie ist... sie war Ihre biologische Mutter, aber gekümmert hat sich ihre Schwester um Sie. Sie hat Sie aufgezogen wie ihr eigenes Kind. Sie ist Ihre wahre Mutter, und das wissen Sie. Sie war weit wichtiger für Sie. Seien Sie ihr nicht böse, dass sie Ihnen nichts gesagt hat. Sie wollte Ihnen sicher nicht wehtun.«
»Ich weiß, Sie haben recht. Ich bin Mama und Babi auch nicht böse. Sie haben getan, was sie unter den Umständen für richtig hielten.« Sie hielt einen Moment inne. »Aber ihr bin ich böse!«, fuhr sie heftig fort. »Ihr, Alena, oder Dana – oder wie auch immer. Dieses egoistischeMiststück! Wie konnte sie so etwas nur tun? Wie konnte sie ihr eigenes Kind im Stich lassen, David? Sie hatte es doch nicht nötig! Sie war nicht zu arm oder zu dumm, um sich um mich zu kümmern – Mama und Babi hätten ihr geholfen, verdammt noch mal! Mama hat damals in Prag studiert, sie hätte geholfen, wo sie nur konnte …« Magda schluchzte. »Und Honza – Jay -, warum … ich verstehe das alles nicht, David.«
»Worüber wollten Sie mit Honza sprechen, Magda?«, fragte Anděl.
»Er hat sie gut gekannt. Ich wollte ihn nach Dana fragen.«
»Sie wissen nicht …«
»Was denn noch?«, fragte Magda. Sie zog ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und trocknete ihre Tränen. »Was weiß ich nicht?«, wiederholte sie, als er nicht antwortete.
Es hatte keinen Sinn, es vor ihr geheim halten zu wollen. Sie würde es ohnehin bald erfahren. »Ich dachte, Sie seien vielleicht deshalb zu ihm gefahren. Honza Krasnohorský ist Ihr Vater, Magda. Das sagte jedenfalls meine Mutter.«
Magda starrte ihn fassungslos an. »Mein Vater?«, hauchte sie.
»Ihre Mutter – Milena, meine ich – hat damals mit meiner Mutter über die ganze Sache gesprochen, sie brauchte wohl jemanden, dem sie sich anvertrauen konnte. Die beiden haben zusammen studiert, kannten sich gut. Dana muss es Milena gesagt haben. Hat sie Ihnen nichts davon gesagt?«
»Nein! Was für eine elende Geheimniskrämerin!«, rief Magda empört aus. Entsetzen breitete sich auf ihrem verweinten Gesicht aus. »Und – und er hat sie umgebracht! David, hat er sie getötet?«
»Dana? Ich weiß es nicht. Und ob er Lenka getötet hat, weiß ich auch nicht. Das kommt ganz darauf an …«
»Worauf? Worauf kommt es an, David?«
»Nun, es kommt auf sein Alibi für den Abend an, an dem Dana, alias Alena Freeman, getötet wurde. Und darauf, ob er ein Motiv hatte, sie zu töten. Und was Lenka angeht – da kommt es darauf an, ob er mit Dana abhauen wollte oder nicht. Wenn ja, dann hätte er ein Motiv gehabt, Lenka zu töten. Dana brauchte Lenkas Ausreisepapiere.«
»Sie meinen, Lenka – was meinen Sie eigentlich?«
»Es gibt zwei Möglichkeiten. Erstens: Honza und Dana wollen zusammen abhauen. Honza kann ohne Weiteres ins Ausland – wir wissen, dass er für den Geheimdienst gearbeitet hat. Aber Dana nicht. Honza heiratet Lenka, die bekommt daraufhin eine Ausreisegenehmigung, um ihre Tante in Österreich zu besuchen – sie lässt ja ihren Ehemann zurück. Vielleicht haben die beiden Venca für ihre Sache eingespannt, ohne dass er es wusste. Er war eifersüchtig. Sein Beitrag war ein Unfall, ein Unglücksfall. Honza wusste, dass sein Freund ihn anrufen würde. Und hätte er es nicht getan, wäre Honza einfach so zu Danas Wohnung gefahren und hätte Lenka getötet. Dana war weg, auf dem Weg nach Österreich. Er erzählt dem Oberst, der sein Chef und Vencas Vater ist, dass Venca Dana im Affekt erschlagen hat. Der Oberst hilft ihm abzuhauen, weil Honza für seinen Sohn die Kastanien aus dem Feuer geholt hat. Unter der Bedingung, dass Honza in Kanada für ihn arbeitet. So viel jedenfalls hat der Oberst zugegeben. Der Rest war einfach: Honza, ich nehme an, dass er es war, bringt die Urne zum Friedhof, und gemeinsam leiern sie die Gerüchteküche um Danas Tod auf dieser Jugoslawienreise an. Dann haut Honza ab. Fertig.«
»Glauben Sie, dass Dana gewusst hat, dass er Lenka umbringen wollte?«, fragte Magda skeptisch. Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann mir das nicht vorstellen, David.«
Anděl zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Sie kann uns das ja leider nicht mehr beantworten.«
»Und die zweite Möglichkeit?«, fragte Magda leise.
»Nun, die ist etwas komplizierter. Aber sie erklärt das
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