Nasses Grab
habe.
»Hervorragend? Und warum hat man es dann seit bald siebzig Jahren nicht mehr gespielt? Weil es nichts taugt, meine Liebe, deshalb. Erinnerst du dich an dieses Stück von Ibsen oder einem dieser depressiven Skandinavier? Wie hieß es doch gleich – Rosmersholm. Genau. Wurde auch nach x- Jahrzehnten ausgegraben. Überflüssig wie ein Kropf! Kein Mensch hatte das Stück vermisst – und mit Recht. Und von wegen Modernisierung – diese rührselige Geschichte von einem gefallenen Mädchen, das von allen verlassen in der Gosse an Tuberkulose stirbt, na – so eins zu eins passt das sicher nicht ins 21. Jahrhundert. Warum lässt man sie also nicht in ihrer Zeit, die Geschichte und das Mädel? Heutzutage wirken beide nur albern und deplatziert. Außerdem mag ich Opern sowieso nicht. Die kreischen mir alle zu viel.«
Mit diesem Schlusswort hatte sie ihre Tasche ergriffen und war aus dem Ráj hinausgegangen.
Das Lokal war inzwischen so etwas wie eine zweite Heimat für Larissa geworden. Sie hatte den Nachmittag dort verbracht und an einem Artikel über die vergessenen Palastgärten geschrieben. Magda war am späten Nachmittag gekommen, hatte sich zu ihr gesetzt und gefragt, ob sich der anonyme Anrufer noch einmal gemeldet hatte. Sie hatten eine Weile in Spekulationen über den Fall der Mumie verbracht, und Magda hatte auf Larissas Nachfrage von verschiedenen Methoden erzählt, mit denen man das Alter von Leichen feststellen konnte. Dann war Xenia aus dem Institut gekommen, sichtlich genervt von irgendetwas, das sich, als sie einen Port getrunken und sich halbwegs beruhigt hatte, als der unfähige Hiwi herausgestellt hatte. Diesmal hatte er den PC der Sekretärin auf dem Gewissen. Als Xenia gegangen war, hatte Magda Larissa gefragt, ob sie mitgehen wolle, es wäre schade, die Karte verfallen zu lassen. Larissa hatte begeistert angenommen. Und nun saß sie hier und fragte sich, ob es nicht angenehmere Arten gab, einen Abend zu verbringen. Diese Oper war eine einzige Zumutung. Der Vorhang senkte sich endlich, das Publikum begann zu klatschen.
»Ich hasse es, das zuzugeben, aber Xenia hatte in jedem Punkt recht«, sagte Magda, während sie nach ihrer Handtasche griff. »Aber es gibt auch gute Nachrichten: Ich habe eine Einladung zum Sektempfang beim Intendanten.«
»Gott sei Dank!«, sagte Larissa seufzend. »Ich kann einen Sekt gebrauchen nach all dem da.«
Magda lachte. »Mindestens einen! Eigentlich schreit dieses Schauspiel nach einem doppelten Whisky. Ein unsägliches Stück, nicht wahr? Ich verstehe nicht, warum sie alles in die Gegenwart verlegen mussten. Na, die erste Halbzeit haben wir überlebt, und mithilfe von ein, zwei Gläsern schaffen wir vielleicht auch die zweite. Auf zum fröhlichen Small Talk.«
»Die hätten dieses Machwerk in der Versenkung lassen sollen«, sagte Larissa. »Und den Regisseur sollte man in die Wüste schicken...« Larissa machte eine wegwerfende Geste und sparte sich weitere Worte.
Magda stand an der Tür der kleinen Loge und streckte sich. Sie sah atemberaubend aus in ihrem schmalen, roten Seidenkleid. Magda fasste mit den Händen im Nacken an den Verschluss ihrer Kette, offenbar um zu prüfen, ob sie fest geschlossen war. Eigentlich war es eher ein Collier, obwohl die Bezeichnung auch nicht recht passen wollte, auf die scheinbar wahllos über das Dekolleté hingeworfenen blutroten Steine, die durch hauchzarte Silberkettchen miteinander verbunden waren.
»Dieses Kleid ist herrlich«, sagte Larissa, »es steht dir ausgezeichnet. Du siehst wunderschön aus, Magda. Was sind das eigentlich für Steine in der Kette?«
»Danke«, erwiderte Magda lächelnd, »das sind indische Granate, man nennt sie auch Almandine – aber frag mich bitte nicht, wie Almandine und Granate miteinander verwandt sind.« Magda lächelte, und ihr Blick wanderte von Kopf bis Fuß an Larissa entlang. »Aber du siehst auch nicht gerade aus wie Aschenputtel.«
Larissa schaute an ihrem langen schwarzen Kleid hinunter und strich es glatt. Es war sehr schlicht, aber unglaublich elegant. Schwarze Seide, auf der – von der rechten Schulter zur linken Hüfte – winzig kleine glitzernde Strasssteinchen herunterrieselten. Larissa hatte keine Ahnung, ob es Swarowskis waren, aber sie sahen auf jeden Fall so aus.
»Ich habe es mir von einer Freundin ausgeliehen. Irgendwie komme ich mir aber trotzdem vor wie Aschenputtel. So verkleidet. Ich trage so was ja sonst nie.« Von den unglaublich hohen Pumps, in denen ihre
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