Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
aufmachte, um die kommunistische Gesinnung zu prüfen. Und was dabei herauskommen würde, das wußte Tigran genau!
»Er sucht ein Mädchen!« erklärte Jefim.
»Wenn es weiter nichts ist …«, sagte Tigran erleichtert. »Das ist eine Privatsache.«
»Eine Mörderin …«
»Brave Genossen, wenn sie sie suchen!«
»Man hat eine Belohnung von tausend Rubel ausgesetzt!«
»Du hast dich verhört!« antwortete Tigran. Sein Herz zuckte. Wenn ein Mensch tausend Rubel wert ist, welch eine Mörderin muß das sein! Gerecht ist es nur, sie zu fangen wie einen tollwütigen Fuchs.
»Er hat tausend Rubel gesagt!« beharrte Jefim. »Er hat sie Petrow angeboten.«
»Petrow? Warum ihm?«
»Weil er der Starost ist, der Dorf Sowjet!«
»Immer diese Bevorzugungen«, stöhnte Tigran dumpf. »Die tausend Rubel stehen Gott zu!« Er stellte den Kerzenleuchter beiseite, strich sich durch den Bart und rannte aus der Kirche.
Tausend Rubel! Das waren: eine neue Glocke, ein neuer Außenanstrich der Kirche, ein neues Meßgewand, die Ausbesserung des Daches, durch das es regnete … und es bedeutete noch einen Batzen Geld – für außergewöhnliche Fälle! Dazu zählte er seinen großen Durst, und ein guter, reiner Wodka aus dem Magazin von Batkit war nicht billig …
»Wo soll das Mädchen sein?« fragte Tigran, während Jefim neben ihm herlief. »Diese Mörderin? Bei uns?«
»Der Fremde behauptet es! Darum durchsucht er alle Häuser. Ha, da sind sie!«
Kassugai war inzwischen bei dem Haus der Witwe Valentina Agafonowna angelangt. Wir kennen sie schon – von der schönen Ärztin her. Sie war jetzt vierundsiebzig und zehrte noch immer von dem Erlebnis. Petrow wollte Kassugai noch warnen, aber der schob ihn zur Seite und brach in das Haus ein wie ein Wintersturm.
Valentina Agafonowna saß gerade in einer hölzernen Wanne und badete. Sie tat das gern. »Es belebt das Herz«, behauptete sie. Nun mußte sie erleben, daß zum erstenmal in ihrem Leben ein Mann sie störte und sie nackt in ihrer Badewanne sah. Ein berauschender Anblick war es zwar nicht, und Kassugai hätte sich auch gar nicht weiter um die Alte gekümmert, wenn Valentina Agafonowna nicht sofort mit einem Knüppel, der an der Wanne lehnte und mit dem sie das Badewasser umzurühren pflegte, nach ihm geschlagen hätte.
Kassugai bekam den Hieb ins Kreuz, fuhr herum und verabreichte Valentina eine schallende Ohrfeige. Das war brutal. Petrow, der in der Tür stehengeblieben war, stöhnte laut vor Mitleid, und Tigran, der gerade ins Haus stürmte, blieb entsetzt auf der Schwelle stehen.
Valentina Agafonowna starrte Kassugai wie einen bösen Geist an. Ein Röcheln entrang sich ihrer Brust, dann sank sie zurück und war tot – vor Schrecken gestorben. Oder vor Entsetzen – oder aus Beleidigung – oder … so ganz gesund schien das ständige Baden für das Herz wohl doch nicht zu sein …
»Sie ist tot!« stammelte Petrow und hielt Kassugai fest, der einen Schrank aufreißen wollte. »Sie haben sie erschlagen!«
Kassugai drehte sich um, betrachtete die wachsbleiche Valentina kurz und hob die Schultern. »Sie hat mich angegriffen. Hier sind Zeugen genug. Außerdem – von einer Ohrfeige stirbt man nicht! Wenn sie sich so erschrocken hat – was kann ich dafür!« Er bemerkte erst jetzt den Popen, der in der Tür stand und die Hände gefaltet hatte. »Natürlich! So etwas fehlte uns hier noch!« sagte Kassugai böse. »Wie die Geier! Riecht ihr den Tod voraus, schwarze Halunken?«
»Das Genick hat er ihr gebrochen!« kreischte Jefim, der Idiot. »Das Genick! Mit einem Schlag …«
»Entfernt den Kerl oder ich bringe ihn um!« schrie Kassugai und ballte die Fäuste. »Pope! Haben Sie ein Mädchen gesehen, ein fremdes Mädchen?«
»Das tausend Rubel wert ist?« fragte Tigran zurück.
»Ach, das weiß er auch schon! Ja, tausend Rubel! Ich gebe sie sogar der Kirche, wenn Sie mir Natalia heranschaffen!«
»Die Kirche ist ein Hort des Friedens«, sagte Tigran feierlich. »Aber tausend Rubel sind tausend Rubel! Leider haben wir kein Mädchen gesehen.«
»Dann suchen wir weiter!«
Im Haus von Valentina Agafonowna gab es nicht mehr viel zu tun. Sie hatte immer bescheiden gelebt, und so war alles schnell überblickbar. Während Kassugai sich überall umsah, hoben Tigran und Petrow die Tote aus der Wanne, legten sie aufs Bett und deckten sie mit einer Decke zu. Zum Abtrocknen reichte die Zeit nicht mehr, denn Kassugai machte bereits Anstalten, die Suche im nächsten Haus
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