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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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seinen Schädel. Und wenn man in Satowka schon immer behauptet hatte, der Pope könne mit der Faust Baumstämme auseinanderschlagen, dann hatte man jetzt den Beweis dafür. Nikolai sank wie vom Blitz getroffen um, Blut lief ihm aus Mund und Nase, und er war bereits tot, als er mit dem Gesicht in den Staub fiel.
    »Amen!« sagte Tigran dumpf. »Wenn Gott straft, straft er gründlich.«
    »Der zweite Sarg!« stammelte Gasisulin, der sein Glück kaum fassen konnte. Dann schwieg er abrupt, denn die Tür des Spukhauses flog auf.
    Kassugai erschien.
    Er taumelte, hielt sich breitarmig an der Wand fest, seine Beine waren eingeknickt, aus seinen Augen, die fast hervorquollen, schrie die Todesangst. Doch das war es nicht, was alle so ergriff – nein, aus seiner Kehle spritzte das Blut im hohen Bogen, und deutlich sah jeder, daß man ihm die Kehle durchschnitten hatte. Es war, wie es früher schon gewesen war: Erst ein Stich in den Hals, dann ein Schnitt quer durch! Eigentlich hatte man nichts anderes erwartet.
    Kassugai schwankte ein paar Schritte nach vorn, streckte hilfeflehend die Arme aus, brach in die Knie und drückte dann beide Hände gegen die schreckliche Halswunde. Er wollte etwas sagen, konnte es aber nicht mehr. Noch einmal versuchte er, auf die Beine zu kommen, zu den Menschen hinzukriechen, die ihn nur anstarrten, ihm aber nicht halfen … Der Strahl aus seiner Kehle wurde zu einem winzigen Springbrunnen, der immer kleiner und kleiner wurde und schließlich zusammensank. Dann fiel Rostislaw Alimowitsch Kassugai nach vorn und starb.
    »Der Teufel!« kreischte Jefim plötzlich. Er machte einen hohen Luftsprung, drehte sich um und lief schreiend durchs Dorf: »Der Teufel hat zugeschlagen! Der Teufel ist im Haus! Tote! Lauter Tote! Lauter Blut!«
    »Der dritte Tote«, sagte der kleine Gasisulin, ergriffen, als habe ihn eine Fee geküßt. Er tastete nach Tigrans Hand und küßte sie inbrünstig. »Zu Ostern stifte ich ein großes Brot mit eingebackenem Speck …«
    »Tragt sie weg!« sagte der Pope laut und blickte die Bauern an, die aus den Häusern herbeigerannt kamen, aus der Mittagsruhe aufgescheucht durch Jefims Gebrüll.
    »Sie haben mich ausgelacht …«, rief Petrow.
    Da zuckte Tigran zusammen und wurde bleich, denn die Tür des ›Leeren Hauses‹ fiel von selbst mit einem harten Knall zu.
    Mit wehender Soutane lief der Pope zurück in seine Kirche.

VI
    Es war verständlich, daß die Bauern von Satowka, nachdem der Fluch sich abermals auf so schreckliche Weise erfüllt hatte, einen Boten zu dem Genossen Ingenieur schickten, der mit seinen Leuten weit draußen in der Taiga Bodenproben entnahm. Tassburg hatte übrigens neulich die Behauptung aufgestellt, unter der Erde, auf der Bäume wuchsen, gäbe es riesige Höhlen, wo sich Gas angesammelt habe. Mit diesem Gas könne man sogar heizen – da begannen die Leute von Satowka aber an einen guten Witz zu glauben und freundlich zu lächeln.
    Kein Witz dagegen war, daß die Gräfin Albina Igorewna nach dem vergleichsweise harmlosen Feuerzauber vor vier Tagen nun wirklich zugeschlagen hatte – und gleich dreimal! Denn, so rechnete man logisch, auch Valentinas Tod im Badebottich war dazuzurechnen. Auch der Hieb, den der Pope Tigran auf die Hirnschale Nikolais losgelassen hatte, war nur so hart ausgefallen, weil die Gräfin ihn nicht abbremste. Spätestens da hätte man gewarnt sein müssen … Aber da war Kassugai ja schon im Haus und stieß sein tierisches Gebrüll aus. Wie man es auch drehte, es blieb geheimnisvoll und schaurig.
    »Er kann unmöglich mehr in dem verfluchten Haus wohnen!« sagte Petrow zu Väterchen Tigran und schielte gottserbärmlich durch das Pfarrhaus. »Um diesen Kassugai war's nicht schade, kommt da zu mir herein und nennt mich gleich einen Idioten, ohne mich zu kennen … aber der Genosse Ingenieur ist ein lieber, höflicher und kluger Mensch, und es wäre ein Unglück, wenn auch er mit durchschnittener Kehle … Väterchen, er kann bei mir wohnen.«
    »Bei mir auch«, sagte Tigran Rassulowitsch und kämmte mit gespreizten Fingern seinen Bart. »Ich kann nur nicht begreifen, daß er seit Tagen alles überlebt, kein Krachen und Fauchen hört, kein Feuer sieht, sondern in aller Seelenruhe schläft. Und dann hat er Blut an den Händen – wir alle haben es gesehen. Unbegreiflich!«
    Tigran setzte sich und bot Petrow einen Stuhl an. Das kam selten vor. Petrow setzte sich ehrfurchtsvoll auf den Stuhlrand und sah den Popen erwartungsvoll

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