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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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–, oder ob er weiterhin dessen Loblieder singt. Für Grigori war der Konflikt greifbarer: Sofort zum Genossen Ingenieur laufen und das Gulasch kalt werden lassen, oder erst essen und dann gehen? Grigori entschied sich fürs Essen. Meldungen werden nicht kalt …
    Er kratzte also seine Blechschüssel leer, ließ den letzten Bissen verträumt im Mund zergehen und kroch dann aus dem Zelt, um Tassburg aufzusuchen.
    Man muß hier eines erwähnen: Grigori war ein bewährter Arbeiter, ein Mensch, den so leicht nichts erschüttert und der schon zwölf grausame Winter freiwillig in der Taiga verbracht hatte. Freiwillig … und nicht etwa in einem Haus oder in einer warmen Höhle, sondern in wattierten Zelten oder Erdlöchern, wo in einem ausgehöhlten Baumstamm das Feuer glimmte und den Ofen ersetzte.
    Ein harter Bursche also, der gegen den Wind spuckte, ohne naß zu werden.
    Aber was er jetzt erlebte, als er Tassburg die Meldung aus Satowka überbrachte, verstörte ihn maßlos.
    »Wer ist in Satowka?« fragte Tassburg und wurde leichenblaß. »Kassugai? In meinem Haus? Mein Gott, ich fahre sofort zurück!« Er rannte aus dem großen Werkzelt, schrie draußen nach seinem Geländewagen, der allerdings mit zwei Geologen unterwegs war, und verlangte deshalb, man sollte einen der schweren Lastwagen auftanken.
    »Sie sind doch alle tot!« rief Grigori, der die Aufregung nicht verstand. »Alle …«
    »Wer … alle?« schrie Tassburg zurück. Er hatte den Blick eines Wahnsinnigen. »Wer hat sie getötet? Grigori, ich schlage dir den Schädel ein, wenn du nicht weiterredest. Wer ist tot?«
    »Zwei Männer und eine Frau, hat Konstantin gemeldet. Mehr weiß ich auch nicht. Konstantin war schwer zu verstehen …«
    »Eine Frau …«, murmelte Tassburg dumpf. »Das ist furchtbar! Oh, ist das entsetzlich!« Er ballte die Fäuste, hieb damit gegen einen Kiefernstamm und rief wieder nach dem Wagen. »Was weißt du noch mehr?« wandte er sich dann an Grigori. »Wann ist es passiert?«
    »Weiß ich es? Vielleicht vor einer Stunde?« Er ging aus der Reichweite von Tassburgs Armen. Michails Gesicht war verzerrt, es konnte einem mehr Angst einflößen als ein Eissturm in der Taiga. »Kennen Sie denn diesen Kassumej oder wie er heißt?«
    »Kassugai? Und ob ich ihn kenne! Er hat es also erreicht. Er hat es wirklich erreicht, und ich sitze hier und kann nicht helfen …«
    »Wem helfen?«
    Es war ein Glück, daß gerade jetzt der Geländewagen aus dem Wald zurückkam. Tassburg rannte wie ein Verrückter darauf zu, riß die beiden Geologen von den Sitzen, schwang sich hinter das Lenkrad und brauste davon wie der wilde Jäger. Zwei Arbeiter, die gerade Benzin geholt hatten, um den Lastwagen aufzutanken, warfen Tassburg die beiden Kanister zu. Sie krachten hinter ihm auf die Sitze.
    »Was hat er?« fragte einer der Geologen. »Ist er verrückt geworden? Wo will er denn hin? In einer Stunde ist tiefste Nacht …«
    »Man hat in Satowka drei Menschen umgebracht«, erklärte Grigori. »Da will er hin!«
    »Um sie zu besichtigen? Wie kann man nur so neugierig sein!«
    »Man hat sie in seinem Haus umgebracht!« Erst jetzt begriff Grigori die ganze Tragweite des Geschehens, und die Haare sträubten sich ihm.
    Die Geologen starrten ihn an und blickten dann entsetzt dem Wagen nach, der in einem höllischen Tempo über die Fahrspuren hüpfte.
    »Einer davon bekam die Kehle durchgeschnitten – wie es in dem Haus der Anastasia seit hundertfünfzig Jahren üblich ist …«
    Überall war Blut …
    Auf dem Boden, an den Wänden, auf dem Tisch – überall Blut!
    Mitten im Zimmer lag das große Fleischermesser, so, wie es Natalia Nikolajewna weggeworfen hatte, als Kassugai entsetzt aufbrüllte, während sein Blut in hohem Bogen aus seiner aufgeschnittenen Halsschlagader spritzte.
    Er hatte nichts mehr sagen können. Er hatte überhaupt nichts gesagt: Er war ins Haus gekommen, nachdem Natalia durch das unverhängte Fenster alles hatte sehen können, was sich vorher draußen abgespielt hatte. Sie war also nicht überrascht worden, und das hatte sie gerettet.
    Tigrans gewaltige Baßstimme und des Idioten Jefims hohes Kreischen hatten sie alarmiert. Und sie hatte begriffen:
    Wenn Tigran und die anderen Kassugai und Nikolai nicht davon abhalten konnten, das Haus zu betreten, gab es für sie nur zwei Möglichkeiten: sich selbst zu töten oder sich so lange zu wehren, bis die Leute von Satowka sie befreiten.
    Sie war seitlich an das Fenster getreten, und ihr Atem

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