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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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es wild, und er biß sich auf die Unterlippe und knirschte mit den Zähnen, um sich zu zwingen, nicht wieder wie ein schwaches Weibsbild loszuheulen. »Du bist noch da … du bist noch …« Dann versagte ihm die Stimme, er sah hinüber zu den anderen Zimmergenossen und sah, wie sie ihn anstarrten. Das machte ihn wieder hart und er brüllte: »Ihr Mißgeburten! Ihr Kuhdreck! Was seht ihr her? Ich schwöre euch … wer jetzt noch hersieht, dem breche ich die Knochen!«
    Keines Kommandos bedurfte es mehr. Die Zimmergenossen drehten sich herum und starrten irgendwohin, hinaus zum Fenster, gegen die Wand, auf das Nachtgeschirr des Nebenmannes …
    »Warum sollte ich fort sein, Luka?« fragte Natascha. Sie setzte sich auf sein Bett, packte einige Äpfel und bereits geschabte und gewaschene Möhren aus, die Luka so gerne aß, und schob eine kleine, flache Flasche Wodka unter sein Kopfkissen.
    »Man hat's mir gesagt.« Luka nahm die Hände Nataschas, und er küßte sie nach alter Bauernart, ehe Natascha sie ihm entziehen konnte. »Ist's nicht wahr?«
    »Nur halb, Luka –«
    »Was heißt halb?«
    »Ich werde wegkommen. Erst nach Saratow, in eine weiße Villa. Dort soll ich weiter ausgebildet werden.«
    »Dann … dann wirst du also doch eine Staatskünstlerin?« fragte Luka leise.
    »So wird's wohl sein, Luka. Aber was ändert das?« Natascha spürte, was in Luka vorging. Wie gut sie ihn verstand, den treuen Idioten.
    »Du bist nicht mehr da, Natascha …« Luka zerbrach eine Möhre. Dann umschloß er sie mit seiner Faust, und der Druck war so stark, daß der Möhrensaft zwischen seinen Fingern hervorquoll und auf das Bett tropfte. Flecken gab's, wie helles Blut. »Weg wirst du sein … für immer … aber ich habe Fedja Iwanowitsch versprochen – kurz bevor er mit einem Spaten erschlagen wurde … das schöne, blonde Köpfchen hat man ihm gespalten … mitten durch, wie man eine Melone aufschneidet … Luka, hat er vorher gesagt … wenn ich sterbe … Natascha …« Lukas Stimme versagte wieder. Er warf den Möhrenbrei aus seiner Hand auf den Boden und wischte sich über das Gesicht. Es war, als beschmiere er sich mit Blut, an den Stoppeln seines Bartes blieben die Möhrenfasern hängen.
    »Wann … wann wirst du fahren …?«
    »Ich weiß es nicht. Auch Tumanow weiß es nicht.« Natascha nahm ihr Taschentuch und wischte das Gesicht Lukas ab. »Ich werde dich nachkommen lassen, Luka … wo ich auch sein werde. Ich verspreche es dir. Wenn du wieder gehen kannst, hole ich dich …«
    Luka nickte. Er tat es, um Natascha einen Gefallen zu tun. Glauben konnte er's nicht. Wenn sie in Saratow ist, wird man mich abschieben, irgendwohin, weit weg von der Wolga. Vielleicht nach Sibirien, in die Tundra, in die Mongolei, nach Jakutskaja, wo ein Mensch verfaulen kann, und niemand riecht's! So dachte er, und er nahm vorsichtig Nataschas Hände und streichelte sie und sah nicht, daß sie das Gesicht verzog und den Schmerz verbiß, denn sein Streicheln war wie das Pressen eines Schraubstockes.
    Fast eine Stunde blieb Natascha bei Luka. Von dem Konzert erzählte sie, von den wenigen Worten, die der große Doroguschin doch noch mit ihr gesprochen hatte, von den Gesangstunden und von dem vielen Geld, das man ihr zahlte, nur, weil sie singen konnte.
    »Zweitausend Rubel bekomme ich«, sagte Natascha.
    »Im Jahr?«
    »Im Monat, Luka –«
    Luka schwieg wieder. Natascha log nicht. Und wenn ein Mensch im Monat zweitausend Rubel bekommt, so ist das etwas, was man sich kaum vorstellen kann. Und nur, weil sie singen kann.
    »Zweitausend Rubelchen«, sagte er und sah an die Decke. »Alle, die singen können?«
    »Ich weiß nicht. Aber sie sehen alle gut aus, die anderen Staatsschüler.«
    Nach einer Stunde ging Natascha. »Wann kommst du wieder?« rief ihr Luka nach.
    »Sobald ich Zeit habe, alter Bär –«
    Sie winkte ihm von der Tür aus zu, und alle im Krankensaal winkten ihr zurück.
    Am nächsten Morgen, als der Frühsanitäter in den Saal kam, um die Patienten mit dem Fieberthermometer zu wecken, war das Riesenbett Lukas leer. Der Gipsverband lag zerschlagen neben dem Bett auf dem Boden, zwei hölzerne Querverstrebungen des Betts waren herausgerissen; als Krücken mußte sie Luka benutzt haben.
    »Wo ist Luka?!« brüllte der Sanitäter. Sein Schrei weckte den ganzen Saal. Blinzelnd, verschlafen, ungläubig starrten die unrasierten Gesichter auf das leere Bett.
    »Ihr müßt doch was gehört haben!« schrie der Sanitäter. »Genossen –

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