Natascha
die Haare. »Ein Mittelchen werde ich ihm ins Essen geben, daß es in ihm hart wird wie Beton!«
Im übrigen war Luka der Star des Krankenhauses. Aus fernen Krankenhäusern besuchten Kollegen die Ärzte in Moskau, nur um zu sehen, wie ein Mensch wie Luka aussieht.
»Ich habe noch nie eine solche Stimme gehört«, sagte der Geiger, der Luka das Notenlesen beigebracht hatte. Sie hatten alle stumm um das Radio gesessen, als Natascha sang. »Lange wird sie nicht in Moskau bleiben …«
»Was wird sie nicht?« In Lukas Brust bildete sich ein Stein. Ganz deutlich merkte er es … ein Stein, der rasend schnell wuchs und auf das Herz drückte.
»Wegschaffen wird man sie, Genosse.« Der Geiger drehte das Radio leiser. »So etwas wird eine Staatsstimme und gepflegt wie eine Wunderkanone! Die siehst du nicht wieder, Luka … Einen goldenen Käfig wird sie bekommen und überall in der Welt herumgezeigt werden. Seht, Freunde, wird man sagen, die Amerikaner haben einen größeren Panzer … aber wir haben die schönste Stimme der Welt! – Du wirst sie nicht wiedersehen, Luka. Nur hören … irgendwo in der Welt –«
»Das wird nicht gehen«, sagte Luka dumpf. »Was soll sie ohne Luka, he? Und Fedja Iwanowitsch habe ich's auch versprochen …«
Das Radio ergriff er plötzlich, hob es hoch und schmetterte es auf den Boden. Dort zersplitterte es, als sei es ein weiches Ei. Und es war niemand da, der es wagte, noch ein Wort zu sagen.
An diesem Tage schrie Luka nicht mehr nach der stündlichen Pfanne … brütend lag er im Bett, starrte an die Decke und kaute an seiner Unterlippe. Der Sanitäter wagte es, den Oberarzt anzureden. Seine Miene war sorgenvoll.
»Genosse Oberarzt«, sagte er. »Mit Luka stimmt etwas nicht. Erst vernichtet er das Radio, und jetzt warte ich seit fünf Stunden auf seinen Ruf nach der Pfanne! Und nichts geschieht. Das macht nachdenklich, Genosse, was meinen Sie? Er wird doch wohl nicht krank werden, meine ich?!«
Der Oberarzt kam in den Krankensaal und setzte sich zu Luka ans Bett. Er untersuchte den Gips, fühlte Luka den Puls, zog ihm die unteren Augenlider herunter und wedelte mit der Hand vor seinen Augen hin und her, um seine Reflexe zu prüfen. Luka starrte an die Decke, stumm, teilnahmslos.
»Was ist, Genosse?« fragte der Oberarzt.
»Scher dich weg«, brummte Luka.
»Immerhin ein Wort! Haben Sie Schmerzen?«
»Nein.«
»Haben Sie eine Beschwerde?«
»Nein.«
»Seit wann haben Sie einen trägen Darm?«
Luka antwortete nicht mehr. Er drehte den Kopf zur Seite, und es war fast wie ein Wunder, das der Oberarzt nicht begriff und vor dem er erstarrt saß, keines Wortes mehr mächtig: Aus den großen Augen Lukas rannen lautlos Tränen und rollten über die dicken Backen seitlich in die Halsbeuge hinein.
»Ich zerbrech dir die Knochen!« schrie Luka plötzlich gegen die Wand. »Laßt mich allein! Allein will ich sein! Ganz allein –«
Der Oberarzt stand schnell auf und ging aus dem Zimmer. Auf dem Gang blieb er stehen und wischte sich über das Gesicht. Er weint, dachte er. Luka weint! Ist so etwas möglich? Ins Krankenblatt müßte man es eintragen: Heute festgestellt, daß Luka weinen kann …
Er stand noch immer sinnend im Gang, als der Chefarzt auf dem Wege zum OP an ihm vorbeikam.
»Ein Wort, Genosse«, sagte der Oberarzt. »Würden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen sage: Luka kann weinen?«
»Nein!« lachte der Chefarzt. »Aber ein guter Witz ist's!«
»Aber er weint –«
»Kommen Sie mit!« Der Chefarzt lächelte verzeihend. »Sie sollten nicht die ganze Wodkazuteilung auf einmal trinken, Genosse –«
Was der unglückliche Geiger im Lazarett in Lukas zarte Seele gepflanzt hatte, wurde Wahrheit, als Natascha drei Tage nach dem Konzert zur täglichen Gesangstunde bei Waleri Tumanow erschien. Mit einem sonnigen Lächeln kam Tumanow mit ausgestreckten Armen auf Natascha zu und drückte sie impulsiv an seine Brust.
»Töchterchen«, sagte er mit wahrer Rührung in der Stimme. »Glückskind, das du bist! Es war ein Sieg, ein großer Sieg deiner Stimme, dieses Konzert! Anatoli Doroguschin ist aus dem Häuschen, und der Parteisekretär für die kulturellen Belange jault wie ein läufiger Hund, wenn er deinen Namen hört. Alle Türen hast du aufgestoßen. Du wirst nach Saratow kommen … an die Wolga, Täubchen … nach Saratow, wo in einem großen weißen Haus die besten Sänger Rußlands wohnen und ausgebildet werden. Und dann wirst du kommen nach Khuzhir, einer Insel im Baikalsee
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