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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auf den weißen Kopf des Alten. Es war, als falle ein Felsblock auf sein Gehirn, kleine Kreise tanzten bunt vor seinen Augen und summten und zirpten wie Heuschreckenschwärme.
    »Freundchen«, sagte Luka fast zärtlich und ließ die Hand auf dem Kopf Tumanows liegen. »Der Mensch ist merkwürdig, glaub es mir. Soviel Geist hat er im Kopf, aber die Schale, die drum herum ist, ist dünn wie ein Eierchen … Nur ein kleiner Druck, und es macht knack, und der Genosse Tumanow stirbt wie ein Flöhchen. Schade drum wär's, bestimmt. Man sollte den guten, friedfertigen Luka wirklich singen lassen –«
    Waleri Tumanow duckte sich. Der Felsblockdruck auf seinem Kopf ließ nach. Schwankend erhob er sich und stützte sich mit beiden Armen auf den Schreibtisch.
    »Komm mit –«, sagte er heiser. »Sing, was du willst. Man kann einen Vulkan nicht mit einem Eimer Wasser löschen …«
    Sie gingen in das Nebenzimmer. Ein Flügel stand dort, und Tumanow setzte sich auf den Stuhl, schlug einige Töne an und schielte zu Luka, der in der Mitte des großen Raumes stand, auf seine Bettlatten gestützt, den Kopf in den Nacken geworfen. Sein Gesicht glänzte in kindlicher Freude, und plötzlich hatte Tumanow Mitleid mit diesem Riesen und erkannte, warum er singen wollte. Fast beschämt senkte er den Kopf über die Tasten und ließ die zarten Hände auf der Klaviatur liegen.
    »Was … was willst du singen …?« fragte er.
    »Wenn's recht ist – die Kosakenpatrouille … Lustig ist sie und wild … Im Lazarett haben sie mit Kissen geworfen, so begeistert waren sie.«
    O Gott, o Gott, dachte Tumanow. Aber auch die Patrouille wird vorbeigehen, und dann werden die Polizisten kommen, die Elena alarmiert hat, und ihn abführen.
    Er spielte die ersten Takte und hörte auf, als Luka die ersten Töne schrie. Es war die Stelle, wo man von ganz fern das Nahen der Patrouille hört, wie sie näher und näher kommt, Reiter in der Nacht, die wie Schemen vorbeifliegen und im Nichts entschwinden.
    Bei Luka war es, als bräche ein Heer geballt in eine enge Schlucht und zerreiße die Bergwände. Das Trommelfell Tumanows stemmte sich gegen die Töne, und wie bei einer rasenden Bergabfahrt mußte Tumanow den Mund weit öffnen, um dem Druck auf seinem Ohr zu begegnen.
    »Leise!« brüllte er. »Leise … die Kosaken sind doch noch ganz weit weg –«
    Luka schwieg. Er sah Tumanow mitleidig an. Seine breite Brust war nach vorn gewölbt, und Waleri ahnte, welche Luftmengen darin warteten, frei zu werden und über die Stimmbänder nach außen zu dringen.
    »Wie wollen Sie Rindvieh ein Gesanglehrer sein, Genosse«, sagte Luka, »wenn Sie nicht einmal merken, daß ich leise singe, he?«
    »Verzeihung.« Tumanow beugte sich über die Tasten des Flügels. »Beginnen wir von vorn …«
    Wirklich, wie ein Weltuntergang war's. Waleri Tumanow gab sich keine Mühe, Töne und Melodie zu begreifen. Er konnte es auch nicht. Auf sein Ohr krachte nur ein einziger Ton, und er war wie eine Explosion und schluckte alles, was an Nebentönen noch vorhanden sein konnte. Sein Ohr versagte einfach, wie gelähmt verharrte es, und als Luka geendet hatte, war die plötzliche Stille so vollkommen, daß Tumanow schnell einige Töne anschlug, um sich zu bestätigen, daß er nicht taub geworden war.
    »Nun, wie war's, Genosse?« Auf seinen Latten stand Luka noch immer mitten im Raum. Schweiß stand auf seiner Stirn, aber nicht die Anstrengung war's, sondern die Erwartung, ein gutes Urteil zu hören.
    Waleri Tumanow dachte an das Auflegen der Hand Lukas auf seinen Kopf und an die Tatsache, daß eine menschliche Hirnschale dünn wie ein Eierchen ist, wie Luka sich beliebte auszudrücken. Er klappte den Deckel über die Klaviatur und drehte sich mit dem Stuhl zu Luka herum.
    »Wenn sie die ›Götterdämmerung‹ von Wagner spielen, und der Rhein tritt über die Ufer und Walhalla bricht zusammen und geht in Flammen auf, dann werde ich dich rufen. Und die Leute werden glauben, die Welt gehe wirklich unter …«
    Einen Augenblick war Luka verblüfft. Was meint er, der Zwerg, dachte er. War's ein Lob, oder macht er sich lustig über mich. Gesungen habe ich wie nie in meinem Leben, und gut hat's geklungen. Man hat ja schließlich Ohren.
    Unschlüssig sah er Tumanow an. Dann machte er ein paar Schritte auf ihn zu, hob eine der dicken Latten und hieb mit einer Kraft auf den schwarzen Flügel, daß der Deckel zersprang und in die Saiten knickte.
    »Ich singe noch ein Lied!« schrie er dabei.
    Aber

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