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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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blöde Unterwürfigkeit: Sedow küßte ihr die Hand.
    Einen Augenblick zuckte es in Natascha, und sie wollte die Finger zurückreißen. Dann ließ sie die Hand an Sedows Lippen und spürte seinen Kuß wie eine heiße, belebende Flut mit dem Blut durch den ganzen Körper rinnen.
    »Darf ich Sie öfter besuchen, Genossin?« fragte Sedow. »Daß Sie leben, ist eigentlich jetzt mein Verdienst, und ich muß doch sehen, wie sich mein Geschöpf entwickelt.«
    »Kommen Sie, so oft Sie wollen … und so oft man Sie zu mir läßt! Man hat strenge Regeln in der Gesangakademie.«
    »Ich weiß.« Sedow erhob sich und knöpfte den Pelz zu. »Aber ich habe mit Högönö schon gesprochen.«
    »Sieben Stunden am Tag will er mich drillen!«
    »Er überlebt es nicht!« sagte Luka dunkel aus der Ecke. »Frieden ist, und wir sind freie Menschen. Was will da ein Mongole …«
    Sedow legte den Kopf etwas zur Seite. Sein schönes Gesicht unter den glatten blonden Haaren war sehr ernst.
    »Ich kenne Ihren Lebensweg, Genossin Astachowa«, sagte er leise, als könne man seine Worte jenseits des Zimmers mithören. »Vieles hat sich geändert, oder besser … Sie werden vieles kennenlernen, was schon früher war, aber nie an Sie herangetragen wurde. Sie haben immer frei gelebt wie die Wolken am Himmel. Aber auch die Wolken werden vom Wind in die Richtung getrieben, die der Wind will. Sie ziehen nicht nach eigenen Gesetzen. Ihr Leben wird schön werden, Sie werden gefeiert werden, Sie werden einmal die Welt erobern können, friedlich, mit Ihrer herrlichen Stimme … aber immer wird es ein Befehl sein, der hinter Ihnen steht und Sie dahin stellt, wohin es Moskau will. Das ist neu für Sie, Genossin. Man wird für Sie mitdenken, man wird Ihr Leben vorausplanen. So wie ich am Zeichenbrett stehe und neue Waffen erfinde, die Rußland einmal zur stärksten Nation der Erde machen werden, so wird an einem Reißbrett auch Ihr Leben konstruiert, und Sie werden es so präzise arbeiten müssen, wie meine Maschine ihre von mir befohlenen Funktionen ausführt. So ist es nun einmal mit uns Russen … unsere Leistungen wachsen mit dem Zwang, der uns treibt. Was wäre ein Tolstoi gewesen ohne ihn, was hätten Dostojewski], Turgenjew, Gorkij und alle die anderen geschaffen, ohne die Nagaika im Rücken?«
    Natascha lehnte mit aufgerissenen Augen an den Gittern des Bettes. Sedow sprach brutal aus, was Waleri Tumanow ihr vor der Abfahrt aus Moskau schonend beizubringen versucht hatte.
    »Ich lasse mich nicht zwingen! Nie! Ich habe schon andere Widerstände gebrochen als diesen Högönö …«
    »Im Krieg, Genossin Natascha. In den Sümpfen vielleicht. Aber jetzt ist Frieden … es normalisiert sich alles, auch das tägliche Leben. Und zu ihm gehört der Zwang. Man kann's nicht übersehen …«
    Sedow gab Natascha noch einmal die Hand und küßte ihre wieder. Dann verbeugte er sich noch einmal höflich und verließ das Zimmer. Luka tappte zum Bett.
    »Er ist ein lieber Mensch, nicht wahr?« sagte Natascha leise und sah auf die geschlossene Tür.
    »Gewiß, gewiß … aussehen tut er wie Fedja und Ilja. Nur Fedja war hübscher, lustiger … Mein kleiner Leutnant war …«
    Natascha hob die Hand. Ihre langen, schwarzen Haare schüttelte sie, als käme sie gerade aus dem Wasser und müsse die Nässe herausschleudern.
    »Fedja und Ilja sind tot, Luka. Man darf an sie denken, aber man darf nicht sein Leben den Toten opfern. Die Toten sind immer rein in den Gedanken der Zurückgebliebenen. Man sollte sie nicht mit Lebenden vergleichen.«
    »Mir gefällt nicht, daß er Luka heißt …«, sagte Luka brummend.
    Es klopfte an die Tür. Dann trat ein mittelgroßer, schlanker Mann ein. Er trug einen weißen, langen Lammfellmantel, eine weiße Pelzmütze und hohe, gefütterte Stiefel. Sein Gesicht war breitflächig, hatte leicht geschlitzte Augen, einen schmalen Mund, der aussah, als habe er keine Lippen, und die Haut war gelblich, mit einem kleinen Stich ins Grünliche. An der Tür blieb er stehen und sah mit seinen schwarzen, kleinen Augen zu Natascha hinüber, die mit ernstem Gesicht im Bett saß.
    »Der Gelbe ist's!« sagte Luka neben der Tür.
    Durch Natascha fuhr ein eisiger Schreck. Über das Gesicht Ulan Högönös zog ein leichtes Lächeln.
    »Eigentlich sollte ein Mann wie Luka in Karaganda Kohlen brechen!« sagte er. Er hatte eine völlig unbedeutende Stimme, nicht zu hoch, nicht zu tief … man merkte sie sich nicht, weil sie zu alltäglich war. »Aber wie man weiß,

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