Natascha
stellen, daß nichts den Unterricht stört … das weiß ich, ohne ihn zu sprechen.«
Sedow legte den Arm um Nataschas Schultern und zog sie an sich. Eieiei, dachte Luka, eigentlich sollte man sich jetzt abwenden. Es gibt Dinge im Leben, wo auch ein Luka fehl am Platze ist.
»Wenn ich weiß, daß du mich liebst«, sagte Sedow leise, »gibt es keine Zeitläufe, die groß genug wären, mich von dir zu trennen.«
»Ich liebe dich, Luka Nikolajewitsch«, sagte Natascha schlicht. »Du weißt es doch seit langem …«
Dann küßten sie sich, innig und eng umschlungen.
Luka, in seinen Bäumen, leckte sich über den Mund.
Man sollte sich ein Weibchen suchen, dachte er plötzlich. Wer einen saftigen Braten sieht, will auch hineinbeißen. Es ist nun mal so.
Ulan Högönö übte mit Natascha für ein Konzert, das die Akademie in drei Wochen geben wollte. Das Opernhaus von Gorkij war schon bereitgestellt, die Bühnenmaler pinselten die großen Kulissen, das Orchester probte, aus Moskau hatten sich der Volkskommissar des Inneren, einige Feldmarschälle und die Parteisekretäre Chruschtschow und Malenkow angesagt, ja, es hieß sogar, daß Kaganowitsch kommen würde, der Schwiegervater Stalins. Und Waleri Tumanow kam nach Gorkij, als schärfster Kritiker der Partei. Ein Ereignis war's, eines der seltenen nach dem Kriege, in einer Zeit, wo es hieß, die Wunden zu verkleben, die Mütterchen Rußland erhalten hatte.
Ulan Högönö hatte die Arie der Königin der Nacht abgelöst durch eine andere, noch schwerere Arie aus ›Fürst Igor‹ von Borodin. Ununterbrochen, jeden Nachmittag, sang Natascha die große Klage der Jaroslawna aus dem 4. Akt: ›Ach weine, ach armes, armes Herz …‹
Meistens stand Luka mit einer Thermosflasche voll Tee an einer Wand des Probenzimmers, stumm, ein in die Ecke gestellter Baumstamm. Auch daran hatte sich Ulan Högönö gewöhnt, nachdem Luka ihm in ruhigem, höflichem Ton gesagt hatte:
»Mein Freundchen, ob du berühmt bist oder nicht … den Hals kann man dir 'rumdrehen wie einem Hühnchen! Auch wenn man mich hinterher nach Sibirien schickt … du siehst's nicht mehr, und das ist mir schon etwas wert …«
Ulan Högönö sah diese Philosophie ohne Schwierigkeiten ein und duldete widerspruchslos Luka im Probenzimmer. Dagegen sah er die Spaziergänge Nataschas mit Luka Nikolajewitsch Sedow mit gekrauster Stirn. Es beruhigte ihn wiederum, daß Luka immer in Nataschas Nähe war und es deshalb nie zu Situationen kommen konnte, die man bei verliebten Paaren befürchten und als natürlich betrachten muß. Dagegen wurde die Stimme der Astachowa weicher und voller, beseelter und ausdrucksstärker, sie bekam jenen Klang, bei dem man die Augen schließen muß, weil der Anblick der Umwelt den Zauber zerstört.
Vier Tage vor dem großen Konzert winkte Högönö ab, als Natascha wieder an den Flügel trat, die Noten zugeklappt auf den Deckel warf und Jaroslawnas Klage anstimmen wollte.
»Heute nicht, mein Engelchen«, sagte der Mongole und setzte sich auf den Klavierstuhl. »Wir müssen etwas bereden, was aus Moskau gekommen ist. Sie haben dort merkwürdige Gedanken, das muß man den Genossen lassen. Denk dir … man will einen anderen Namen haben …«
Natascha lehnte sich gegen den Flügel. In ihren großen schwarzen Augen stand völliges Mißverstehen.
»Ich verstehe nicht, Genosse …«
»Ich verstand es auch nicht. Aber Moskau will es so. Sollen wir lange fragen, wo Fragen keinen Sinn haben? Der Vorschlag ist klar: Du sollst als Sängerin den Namen Astachowa ablegen.«
»Fedja Astachowa war mein kleiner Leutnant … ein Deutscher spaltete ihm den Schädel, mit einem Spaten, Brüderchen … Wir trennen uns nicht von seinem Namen! Nie!« sagte Luka und hieb mit der Faust gegen die Wand.
Högönö hob die Schultern. »Man will, daß du unter deinem Mädchennamen singst. Als Natascha Tschugunowa.«
»Warum?«
Högönö sah Natascha mit schrägem Kopf an. »Mein Täubchen, ist es üblich, Moskau zu fragen: Warum? Es ist nun einmal so, die Plakate sind bereits gedruckt, die Programmzettel, die Mitteilung an die Zeitungen, die Einladungen an das Diplomatische Corps … man arbeitet gründlich, wie man sieht.«
»Das ist eine Frechheit!« rief Natascha. Doch dann wurde sie nachdenklich.
»Gut denn, Ulan Högönö«, sagte sie schließlich. »Es liegt mir wenig an dem Namen Astachowa« – es war, als schrumpfe Luka zusammen. Schnaufend stand er in der Ecke, die Thermosflasche in der Hand –,
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