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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gewußt, dachte er. Schon beim ersten Ton, den sie sang, damals in der Moskauer Fabrik. Sie wird den Namen Rußlands in die Welt tragen wie die Ulanowa und wie Prokofieff, wie Scholochow und Soschtschenkow. Noch ist sie jung … aber in zehn Jahren wird sie so weit sein, daß keine Stimme neben ihr mehr bestehen kann.
    Als der Applaus aufkam, verließ Sedow seinen Platz und rannte durch Gänge und Flure und Türen bis zu einer eisernen Pforte, auf der ›Eintritt verboten‹ stand. Er riß sie auf und prallte auf den Inspizienten, der den Umbau zum dritten Bild dirigierte.
    »'raus!« schrie der kleine Mann. »Hier ist nicht der Lokus!«
    »Ich will zu Natascha!« sagte Sedow höflich. »Ich bin ihr Verlobter, Genosse.«
    »Man soll es nicht für möglich halten, welche Idioten es gibt!« Der Inspizient trat Sedow gegen das Schienbein. Der heulte auf, hüpfte zurück, und die eiserne Tür schlug vor seiner Nase zu und wurde von innen abgeschlossen.
    Humpelnd ging Sedow zurück zu seinem Platz und mußte auf dem Gang warten, weil das dritte Bild bereits begonnen hatte. Durch die Türen hörte er einen schönen Chor aus ›Boris Godunow‹ singen und einen fülligen Baß mit der Wahnsinns- und Sterbeszene des Boris, dem Glanzstück des großen Schaijapin.
    In der Garderobe Nataschas standen Ulan Högönö und Waleri Tumanow. Natascha war schon umgezogen, sie trug das Kostüm der Jaroslawna.
    »Sehr schön, mein Täubchen«, sagte Tumanow und blinzelte Högönö zu. »Aber man merkt, daß du noch jung bist. Noch viel hast du vor dir …«
    »Zuerst werde ich heiraten.«
    »Du solltest es dir überlegen.«
    »Ich liebe Sedow …«
    Tumanow hob die Schultern. »Ihr werdet euch wenig sehen …«
    »Es wird sich schon eine Lösung finden.«
    »Euer Beruf ist zu verschieden. Er sitzt in einem Zimmer vor einem Zeichenbrett … aber dir gehört die Welt! Und er wird nie von diesem Zeichenbrett wegkommen, solange er lebt nicht.«
    »Dann werde ich aufhören zu singen und nur noch seine Frau sein.«
    »Das sagst du jetzt, Natascha. Aber in zwei Jahren wird es anders sein. Dann wird der Gesang allein dein Leben sein, dann wirst du nicht mehr leben können ohne die Musik, die Scheinwerfer, die Kulissen, die nach Farbe und Leim und Staub riechen, wie alter Pferdeschweiß. Fehlen wird dir etwas, wenn du nicht auf der Bühne stehst, und unruhig wirst du werden, wenn du ein paar Tage lang nicht den Beifall der Menge hörst. Und dieser Luka Nikolajewitsch Sedow wird nur noch ein Wurm sein, der auf deinem Wege liegt und der in der Sonne deines Erfolges austrocknet und zu Staub zerfällt.«
    »Wie schlecht ihr mich alle kennt!« sagte Natascha. Sie blickte in den Spiegel, auf ihr geschminktes Gesicht. »Ich bin ein einfaches Kolchosenmädchen, nicht die ›geborene Künstlerin‹ …«
    »Auch das werden wir aus dir holen«, sagte Ulan Högönö. »Du weißt nicht, was man aus einem Menschen machen kann …«
    Mit Luka war eine große Veränderung vorgegangen. Wie in Moskau nach Erreichung der Konzession als Gepäckfahrer rasierte er sich plötzlich zweimal täglich und bemühte sich, in seine Kleidung Ordnung zu bekommen und auszusehen wie ein normaler Mensch. Auch putzte er sich die Zähne und wusch sich die Füße, etwas, was er selbst in Moskau nicht getan hatte, denn er stand auf dem Standpunkt, daß Zähne und Füße nichts mit dem Gepäckfahren zu tun hatten.
    Der Anlaß solcher Veränderungen war doppelt und hieß Senja und Rimma. Es waren zwei Mägde auf einer Sowchose am Stadtrand von Saratow, und Luka hatte sie kennengelernt, als er mit einem Fuhrwerk herumdonnerte und Holz für die Öfen der weißen Villa suchte.
    Senja war drall und klein und reichte Luka knapp über den Nabel hinaus, Rimma schlank und groß und stieß mit dem Kopf an Lukas Achsel. Beide lachten sie gern, hatten ein rundes Hinterteil und eine große Portion animalischer Lust. Sie hatten nach einem kurzen Blickwechsel Luka bei seinem ersten Besuch auf der Sowchose in eine Scheune gelockt. Als Luka eine Woche später wieder erschien, um Holz zu holen, aber im Herzen mit der Sehnsucht eines streunenden Wolfes, standen die Weiber schon wieder an der Scheunentür und winkten ihm einladend zu.
    »Ein schweres, aber schönes Leben!« seufzte Luka. Am Abend brachte er eine Wurst mit in die weiße Villa, ein schönes Stück Speck und eine Flasche selbstgebrannten Wodka.
    »Was ist los, Luka?« fragte Natascha, als sie Luka am Fenster sitzen sah und seine tiefen

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