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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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»Aber wir beide verstehen uns doch, nicht wahr …?«
    Tumanow nickte. Die Kehle war ihm plötzlich zu eng, der Atem zitterte pfeifend daraus hervor, als halte sie jemand zu. Högönö, dachte er. Liegt hier das Geheimnis seines Verschwindens? Er wagte nicht, weiterzudenken. Mit steifen Beinen kletterte er neben Natascha in den Schlitten und ließ sich von Lukas riesigen Händen zudecken.
    Selbstverständlich war's, daß Luka den Schlitten fuhr. Und er fuhr ihn gut und sicher, als kenne er alle Wege, die zum weißen Schloß von Khuzhir führten.
    So war nun eigentlich alles wieder beim alten, wie damals in Saratow. Luka lebte im Haus und machte sich nützlich, Tumanow hielt seine Gesangstunden ab und übte das Rollenstudium, Natascha sang und lernte und studierte die großen Opernarien in deutscher, französischer und italienischer Sprache.
    Nur die Fischer waren unzufrieden. Der Rechner hatte ausgerechnet, daß Luka ein Verlustgeschäft gewesen war. Gehackt hatte er in den wenigen Tagen 43 Löcher. Aber dafür hatte er mehr gegessen, als man veranschlagt hatte. Der halbe Fischfang ging in den Magen Lukas. Man hatte darüber hinweggesehen mit einem Blick auf die Zukunft. Aber nun war Luka gegangen, und es sah traurig aus bei den Fischern. Ein zerbrochener Tisch, ein demoliertes Bett, drei Frauen, die von Luka träumten und nachts zu seufzen anfingen, und in den Vorratskammern weniger als im Vorjahr.
    Ein halbes Jahr verging.
    Der Baikalsee taute auf, es kam plötzlich. Der Schlamm, der sonst das Leben in Westrußland zur Zeit der Schneeschmelze für Wochen erstickt, blieb aus. Die Schneedecke wurde dünner, ein warmer Wind kam aus der Mongolei, Grasflecken zeigten sich, und kaum, daß man sie wahrnahm, bedeckten sie sich mit kleinen und großen Blüten, als schossen sie über Nacht aus dem feuchten, fruchtbaren Boden. Auf dem See brachen die Eisschollen ineinander, trieben gegen das Ufer und schabten es ab. Luka rannte ein paarmal in diesen Tagen zur Höhle, in der er Högönö begraben hatte. Die Steine hielten, auch wenn der Eiskitt geschmolzen war. Mit Grasbüscheln stopfte er die Ritzen zu, und bald sah es aus, als seien es alte, bewachsene Steine, die zur Befestigung des Ufers gehörten.
    Vier Tage hintereinander wehte ein warmer Wind aus dem Süden. Er trieb die letzten Flecken des Winters weg und brachte den Sommer, ohne sich bei dem Frühling aufzuhalten.
    Aus Irkutsk kam wieder die Kommission der Geheimpolizei. Man suchte die Ufer ab in der Hoffnung, etwas, und wenn es nur ein Schuh war, von Högönö zu finden. Unerledigte Akten sind in Rußland eine persönliche Schande, Freunde. Eine unerledigte Akte kann den Beruf kosten oder drei Jahre Straflager oder Versetzung in eine Traktorenfabrik als Schweißer.
    Der untersuchende Kommissar war bleich, als man nach einer Woche Suchen nichts, aber auch gar nichts fand. Ulan Högönö würde eine unerledigte Akte werden. Die Geheimpolizei in Irkutsk kam in schwere Sorgen. »Wir müssen Moskau etwas bieten!« sagte der Oberkommissar voll tiefer Nachdenklichkeit. »Wenn wir zum Beispiel fünf Saboteure fassen … oder drei Gegner Stalins … oder vier Wirtschaftsverbrecher … was haltet ihr davon, Genossen?! Das könnte ablenken –«
    Man stellte die Suche am Ufer des Baikalsees ein und fuhr zurück in die Stadt. Auf dem Wege traf die Kolonne der grünen Wagen auf einen einsamen Mann, der Bäume fällte.
    »Anhalten!« rief der Oberkommissar. »Was ist denn das? Ist hier nicht der Staatswald?! Und da fällt ein Mann Bäume?! Das ist Sabotage gegen das Volkseigentum! Verhaften!«
    Es stellte sich heraus, daß dies nicht so einfach war. Der bäumefällende Mann war ein Riese und warf zwei Geheimpolizisten einfach wie zwei Kugeln durch die Luft, zurück zu den Wagen. Erst als der Kommissar neben ihm in den Boden schoß, war Luka überzeugt, daß Widerstand im Augenblick nicht ratsam sei. Mit der Axt über dem Arm kam er an die grünen Wagen heran.
    »Einsteigen!« schrie der Kommissar. »Sofort! Dein Kopf ist dick genug, daß ich ihn mit geschlossenen Augen treffe!«
    »Warum?« fragte Luka.
    »Das werd ich dir schon sagen! Einsteigen!«
    Luka bekam einen Hieb ins Kreuz und stolperte in einen der Wagen. Er kam neben einen Polizisten zu sitzen, der ihm den kalten, schwarzen Lauf der Pistole an die Schläfe drückte und grinsend sagte: »Ein kleiner Versuch, nur ein Muckserchen, Genosse, und es macht blaff!«
    Luka seufzte. An Natascha mußte er denken, die am Abend

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