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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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aus Bärenfell vergraben.
    »Nataschka!« rief Tumanow und eilte mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. »Wer hätte geglaubt, daß ich dich so schnell wiedersehe?!«
    Er stellte seine Koffer auf den verschneiten Bahnsteig und küßte Natascha auf die Nasenspitze.
    »Sie wissen, daß man Ulan Högönö …?«
    »In Moskau war man sprachlos. Aber dann habe ich erfahren, wieviel wert mein Täubchen dem sowjetischen Staate ist: Sie gehen nach Khuzhir, hat man zu mir gesagt. Sie übernehmen den Posten des Genossen Högönö! Und in zwei Jahren wollen wir Natascha Tschugunowa hören und sehen.« Tumanow lächelte und faßte Natascha unter. »Ein Befehl ist das! Ein Soll! Wie bei den Kolchosen: Das Feld muß soundsoviel Zentner bringen! Hier heißt es: In zwei Jahren ist Natascha der große Star. Wir müssen uns Mühe geben –«
    »Und Luka Nikolajewitsch Sedow?«
    Tumanow schob die Unterlippe vor. »Ist es noch nicht aus?«
    »Verlobt sind wir!«
    »Ich weiß. Ich weiß. Du liebst ihn wirklich?«
    »Ich werde ihn heiraten. Und ich werde Kinder haben.«
    »Und deine Stimme dabei verlieren –«
    »Was ist mehr wert, Tumanow?«
    »Für Rußland – deine Stimme! Kinder haben wir genug … das überlaß den Bäuerinnen.«
    »Ich bin eine Bäuerin. Aus der Kolchose Krassnoje Mowona.«
    Waleri Tumanow sah sich um. Er sah wohl den Schlitten, aber keinen Fahrer. »Was du warst, ist vorbei, Nataschka«, sagte er dabei. »Was du bist und was du wirst … das werden wir aus dir machen. Wir formen dich zu einer Vollendung, die beispiellos sein wird.«
    Natascha entzog Tumanow ihren Arm. »Wie gleich ihr alle seid … Högönö und Sie und alle … Nur eure Gesichter sind verschieden … über eurer Seele, über eurem Hirn, über eurem Denken tragt ihr die gleiche eintönige Uniform! Angst könnte man bekommen, sie auch übergestreift zu bekommen.«
    »Wo ist der Fahrer?« fragte Tumanow, trat an den Schlitten und strich den beiden Pferden über die dampfenden, eisverkrusteten Nüstern.
    »Hier steht er!« Natascha zeigte auf sich.
    »Unmöglich!« Tumanows Gesicht wurde ernst. »Du bist allein gefahren und hast gelenkt?«
    »Ich habe das als Kind schon getan, in Tatarssk.«
    »Und wenn du dich erkältest, wenn die Stimmbänder sich entzünden, wenn du's an der Lunge bekommst?! Wer hat dir den Schlitten gegeben?«
    »Genommen habe ich ihn mir! Aus dem Stall der Villa. Man wollte mich aufhalten, aber ich habe mit der Peitsche gedroht. Kommen Sie, steigen Sie ein, Genosse Tumanow.«
    »Wie gut, daß ich gekommen bin.« Tumanow kletterte in den Schlitten. Er wollte sich mit einem großen Fell zudecken, als sein Blick auf eine Hütte fiel, die neben dem Bahnsteig stand. Es war eine Futterhütte, und an der Seite lehnte eine urweltliche Gestalt mit einem verstrüppten Gesicht.
    Waleri Tumanow wischte sich über die Augen und setzte sich gerade auf. »Das ist nicht möglich!« sagte er laut.
    »Was?« fragte Natascha. Sie saß schon auf dem Bock und schlug ein Bärenfell um die Füße.
    »Wie kommt Luka hierher?« schrie Tumanow.
    »Luka?« Natascha drehte sich schnell herum.
    »Luka!« schrie sie grell. »Lukaschka! Luka!«
    Sie stürzte vom Kutschbock des Schlittens, verfing sich in dem Bärenfell und fiel in den Schnee. Wie eine gefallene Katze rollte und schnellte sie sich zur Seite und auf die Beine und rannte dann auf die vermummte, unförmige, turmartige Gestalt zu, die ihr langsam, schwankend, stampfend entgegenkam.
    »Täubchen –« Luka war stehengeblieben. Er heulte wie ein hungernder Wolf und fing Natascha auf, als sie gegen ihn prallte. Ganz hoch hob er sie, wie eine Feder schwebte sie durch die Eisluft, wie ein flatterndes Vögelchen, das aus dem Nest gefallen war … und dann küßte Luka sie, drückte sie an sich, setzte sich in Bewegung und trug sie, an seine Brust gepreßt, zum Schlitten und zu Tumanow zurück.
    »Wo kommst du her?« rief Natascha und trommelte gegen seine Brust. »Wie lange bist du hier?! Luka, Luka … wo bist du gewesen?«
    »Um dich, Täubchen, immer um dich.« Luka grinste. »Schwer war's, sich immer zu verstecken.« Er hob Natascha in den Schlitten, deckte sie bis zum Hals zu und winkte Tumanow, der stumm neben ihm stand. »Setz dich, Opa!« sagte Luka. »Du bist mir lieber als dieser Högönö. Ein Mensch bist du, auch wenn du vor Moskau in die Hosen machst.« Er sah, wie Tumanow zögerte und etwas zu überlegen schien. »Vielleicht ist es richtig, was du denkst, Brüderchen …«, sagte er leise.

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