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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wieder auf ihn warten würde. Tumanow würde verzweifelt sein, denn Natascha würde sich weigern, ohne Luka weiterzusingen. Eine verrückte Welt war's.
    »Es wird Ärger geben, Genossen«, sagte Luka, als die Wagen wieder anfuhren.
    »Ruhe!« schrie der Kommissar. Er drehte sich herum. »Wenn er noch etwas sagt, Sergeant, schlagen Sie ihm die Zähne ein!«
    Nicht immer kann es Sensationen geben, Freunde. Das Leben besteht aus Irrtümern und deren Widerrufen, aus Fragen und Antworten, aus Händedrücken und Ohrfeigen. Wer kann's ändern?
    Die Entlassung Lukas aus der Zelle der Geheimpolizei von Irkutsk war durchaus nichts Sensationelles. Natascha und Waleri Tumanow lösten ihn einfach aus. Der Wald gehörte zum Schloßbesitz, und Luka gehörte dazu. Als der Kommissar dies erkannt und begriffen hatte, war er sehr höflich, ließ Luka holen und sagte zu ihm:
    »Genosse – wir haben uns mißverstanden! Das ist es. Aber Ihre Schuld ist es auch … Sie hätten uns aufklären müssen, statt stumm mitzufahren.«
    Jeder wußte, daß es die Unwahrheit war, aber jeder schwieg auch. Eine Unannehmlichkeit ist dazu da, daß man sie schnell vergißt. Nur die unvergessenen Unannehmlichkeiten wachsen sich aus und werden zu Tragödien! Muß das sein?
    Nein, nein, es gab keine Sensation, Brüder. Die Meldung wurde still zu den Akten gelegt. Moskau schwieg. Nur ein Blättchen mehr war in den Schnellheftern, die eine rote Farbe hatten und besonders im Auge behalten wurden. Noch schlief das große Schicksal und war nur angedeutet in einigen Randbemerkungen, die der Innenminister Berija selbst in die Akten setzte.
    Und noch ein anderes Papier wurde nach langen Umwegen in die Akte N.T. geheftet. Ein Antrag, der nicht alltäglich war, weil er um Erlaubnis dessen nachsuchte, was Hunderttausende in der Sowjetunion ohne staatliche Erlaubnis beschlossen.
    Antrag
    der Sängerin, Leutnant der Roten Armee, Trägerin der großen Verdienstmedaille, Leninorden-Trägerin und ›Heldin der Nation‹ Natascha Tschugunowa-Astachowa, den Ingenieur Luka Nikolajewitsch Sedow, z.Z. in Kolpaschewo/Tomskaja, heiraten zu dürfen …
    Moskau schwieg dazu nicht lange.
    »Heiraten kann sie«, sagte ein Beamter des Innenministeriums am Telefon zu Professor Tumanow. »Aber ihre Ausbildung geht vor! Wir werden Sedow eine Woche Urlaub geben … mehr nicht …«
    »Und wenn … wenn die Hochzeit nicht ohne Folgen bleibt?« fragte Tumanow.
    »Ein Kind?« Der Beamte im Kreml dachte kurz nach. »Sie werden es verhindern, Waleri Iwanowitsch.«
    »Aber wie, um Gottes willen, Genosse?!«
    »Man wird es ungeboren lassen …«
    »Wie stellen Sie sich das vor?!«
    »Keine Kommentare! Wenn es soweit kommen sollte, unterrichten Sie uns.«
    Es knackte in der Leitung, die Stimme, über Tausende von Kilometern hinweg, schwieg. Professor Tumanow legte mit bleichem Gesicht den Hörer zurück. Das war Moskau, dachte er, und ein Schauer lief durch seinen Körper. Man wird es ungeboren lassen … Mein Gott, was ist der Mensch noch in diesem schönen Land –?!
    Am Abend hatte Tumanow eine ernste Aussprache mit Natascha.
    Sie saßen auf der großen Terrasse des Schlosses. Kübel mit Palmen und Agaven hatte man herausgestellt und auf die Brüstungen aus Marmor gestellt. Durch sie hindurch verlor sich der Blick in der Weite des sonnenüberfluteten Sees. Wie ein Meer voll Blut sah er aus, gerade jetzt, wo die Sonne versank. Tumanow schwieg eine ganze Weile und gab sich der Betrachtung des Sonnenunterganges hin. Wenn man hier sitzt, dachte er versonnen, könnte man es kaum glauben, daß ein großer Krieg hinter uns liegt und es Jahrzehnte braucht, um die Wunden Mütterchen Rußlands zu schließen. Wie glücklich könnten wir sein, wenn nicht Ideen die Völker regierten, sondern der Verstand der Menschlichkeit.
    Waleri Tumanow wandte sich von dem Anblick des blutenden Baikalsees ab. Wie ketzerisch man denkt, sagte er sich. Seit achtundzwanzig Jahren sind wir Bolschewisten … da ist es ein Frevel, sich an andere Zeiten zu erinnern.
    »Nataschka«, sagte er mild. »In einigen Monaten wirst du zum erstenmal in der Moskauer Oper singen. Die Jaroslawna in ›Fürst Igor‹ von Borodin …«
    Er sagte es ganz beiläufig, so, als stelle er fest, daß der Abend mild sei. Für Natascha aber war es der erste Schritt aus der Einsamkeit heraus, aus einer Verbannung, in der man sie zu einer der schönsten Stimmen erzog.
    »In Moskau?« rief sie erregt. »Wir werden Khuzhir verlassen?!«
    »Vielleicht. Es

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