Natascha
ist abhängig von dem, was du bietest. Die größten Kritiker Rußlands werden im Theater sitzen. Sagen sie: Natascha ist das, was wir erhofften … dann steht uns die Welt offen. Sagen sie: Es fehlt noch das Pünktchen auf dem i … dann müssen wir zurück nach Khuzhir und üben, üben, üben … wie bisher …«
»Und meine Hochzeit mit Luka Nikolajewitsch?«
»Darum geht es, Täubchen. Es wird eine merkwürdige Ehe werden. Man sollte sich das überlegen. Du in Moskau, er in Tomskaja … und wenn es auf Tournee geht, seht ihr euch vielleicht ein Jahr lang nicht …«
»Er könnte mit uns fahren, Waleri Iwanowitsch.«
»Als was? Ein Kofferträger?! Natascha …« Fast wie Mitleid war in seiner Stimme. »Luka Sedow ist ein guter Ingenieur … er gehört als Spezialist der Sowjetunion … du bist bald eine große Sängerin … und du gehörst der ganzen Welt und auch dem Vaterland, dessen Namen du in alle Länder tragen wirst. So ist's nun mal, mein Täubchen … mit der Größe des Könnens verringert sich die persönliche Freiheit. Um einen Idioten wie Luka kümmert sich keiner … doch wehe, wenn er auf den Gedanken käme, ein Boxer zu werden. Nicht ein freie Minute hätte er mehr. Er würde ein Staatssportler!«
»Und was wird wirklich aus Luka?«
»Sieh, das ist geklärt. Er kann deine Koffer tragen und mitreisen. Er wird uns garantieren, daß dir nie etwas geschieht. Man hat's erkannt im Kreml und ist froh, daß es diesen Luka gibt. Aber Luka Nikolajewitsch Sedow … man sollte ihn vergessen.«
»Er hat mir das Leben gerettet. Man sollte ewig dankbar sein, daß er –«
»Man ist es, Natascha. Nach Sibirien wird er kommen, in eine Atomforschungsanstalt. Eine große Ehre ist's!«
»Lebendig begraben will man ihn!« schrie Natascha. Sie sprang auf. Die Wildheit, die in den Sümpfen zu einer Legende geworden war, brach wieder aus ihr heraus. Sie faßte einen der Kübel und stieß ihn wütend hinab in den Garten.
Tumanow sah auf seine schmalen, leicht zitternden Hände. Ein armer Mensch, dachte er traurig. Die Stimme eines Engels, aber gefangen wie die Nachtigallen der chinesischen Kaiser.
»Du kannst alle Vasen hinabwerfen«, sagte er gütig. »Es kümmert Moskau wenig. Gehorsam wird man verlangen – und ihn bekommen. Erinnern wird man sich, daß du Leutnant bist. Und man wird dir befehlen als Offizier … so einfach ist das. Singe, überall in der Welt, wird man befehlen. Und du weißt es, was es heißt, einen Befehl nicht auszuführen.«
»Und … und wenn ich meine Stimme verliere …?« fragte Natascha leise. Ihr kleines, zartes Gesicht war trotzig. Schmal war der Mund, zusammengekniffen die Augen. Wieviel Kraft sie in sich hat, das Püppchen, dachte Tumanow verblüfft. In ihr lebt noch die wilde Freiheit der Steppe … immer noch, nach zwei Jahren harter Schule. Man wird sie nie unterdrücken können. Und es machte ihn fast froh, dies zu denken.
»Man würde dich in eine Fabrik stecken, weiter nichts. Ein Tropfen in der grauen Masse wärest du … mit Hunger, mit Sehnsucht, mit einem Kopftuch, wattiertem Rock und wollener Jacke. Mit einem Schlafplatz in einem Frauensaal …«
»Sie vergessen Luka Sedow! Ich könnte ihn heiraten und endlich glücklich sein –«
»Was ist Glück, Natascha?« Tumanow erhob sich. Er beugte sich über die Terrassenbrüstung und sah hinab in den umgewühlten Garten. Luka war dabei, die aus dem Kübel gefallene Palme in die Erde zu pflanzen. »Du liebst diesen Sedow?«
»Ja –«
»Aber es ist eine Liebe aus Trotz! Auflehnung ist es, Kampfwillen … ich will ihnen zeigen, wer hier die Stärkere ist, das denkst du! Ein freier Mensch bin ich, denkst du. Man kann die Liebe nicht verbieten, denkst du. Das ist ein Fehler, so viel zu denken. Der Krieg ist vorbei, wir haben einen Wiederaufbau- und Jahresplan, alles ist in Soll eingeteilt, unsere Verbündeten werden langsam unsere Feinde, und Generalissimus Stalin hat aufgerufen, daß die Opfer erst beginnen. Ein neuer Aufbruch Rußlands ist vollzogen … kleine Natascha, was gilt da das persönliche Schicksal eines Mädchens aus Krassnoje Mowona! Nur seine Stimme ist wichtig … sie ist eingeplant, eine Nummer hat sie im großen Plan des Kreml. Vielleicht Nr. 1.682, Tschugunowa, Natascha … wird als Sängerin zum Kulturaustausch eingesetzt. Mehr steht da nicht … aber es ist eine Nummer, die du dein ganzes Leben lang behalten wirst –«
»Ich werde Sedow heiraten!« sagte Natascha hart. »Jetzt gerade, Waleri
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