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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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farbigen Bändern.
    »Was soll denn das?« fragte Tumanow.
    »Für mein Pferdchen ist's, Väterchen«, antwortete Luka glücklich. »Ich werd' in Moskau sein und mein Pferdchen nicht besuchen?! Freuen wird es sich, das liebe Viehchen, wenn's mich sieht … und dreißig Rubel habe ich gespart, um ihm einen Sack voll Rüben zu kaufen …«
    So fuhren sie ab von Irkutsk, nach Moskau, hinaus in die große Welt. Daß es jeder im Zuge wußte, dafür sorgte Luka. Er stampfte von Wagen zu Wagen und von Abteil zu Abteil und brüllte glücklich in die verstörten Gesichter der Reisenden:
    »Nach Moskau geht's, Genossen! Nach Moskau! Und Rußlands größte Sängerin fährt mit! Natascha, ihr Idioten! Und mein Pferdchen sehe ich wieder! Juchhe!«
    Es war durchaus keine langweilige Reise.
    Vier Tage Bahnfahrt, eingesperrt in ein enges Abteil mit harten Sitzen, umgeben von den Ausdünstungen Hunderter von Menschen und den Streitigkeiten, die vier Tage enges Zusammenleben erzeugen, sind kein rechtes Vergnügen, Genossen. Luka war es, als säße er in einem Käfig, und man fahre ihn durch die Gegend wie früher die sibirischen Tiger, die mutige Dompteure im Zirkus zeigten.
    »Ein bißchen Abwechslung braucht der Mensch«, sagte er philosophisch und machte sich auf den Weg, dies im Zug zu suchen. Mit Ausdauer drang er vor bis zur Lokomotive. Er wartete im vorderen Wagen, bis der Zug auf einer einsamen Station anhielt, um frisches Wasser aufzutanken. In diesen Minuten erkletterte er ächzend den Führerstand der Lok und begrüßte den Lokomotivführer und den Heizer Stepanij mit einem wohlwollenden Schlag auf die Schulter, der sie in die Knie brechen ließ wie zum inbrünstigen Gebet.
    »Brüderchen!« sagte Luka und lehnte sich an die Räder und Hebel, hinter denen es fauchte und glühte und rumorte. »Wunderbar muß es sein, so ein großes Ding durch das Land zu fahren und zu wissen: Vorgestern in Irkutsk, heute in Krasnojarsk, übermorgen in Moskau … Wie klein die Welt wird, wenn man hier steht, was, Genossen?!«
    Der Lokomotivführer und der Heizer erhoben sich von den Knien. Sie sahen sich schnell an und waren sich einig. Es ist kein übriggebliebener Urmensch, dachten sie, er spricht ein neues Russisch.
    »Der Aufenthalt auf der Lokomotive ist nur dem Bahnpersonal gestattet!« sagte der Lokomotivführer streng.
    Luka nickte beifällig. »Das hast du gut gelernt und gut vorgetragen, Genosse. Bist du im Sprechen ausgebildet? Etwa auf der Parteischule in Astrachan? Eine wunderbare Stadt, nicht wahr, Brüderchen … ich habe dort gelebt, als junger Komsomolze. Aber dann haben sie mich weggeschickt. Traurig war's fürwahr … ein Schädelchen habe ich eingedrückt, ganz ohne Absicht, das Köpfchen eines Lokomotivführers, der zu mir sagte: Der Aufenthalt auf der Lokomotive ist nur dem Bahnpersonal …«
    Stepanij, der Heizer, wurde blaß und lehnte sich aus dem Fenster, als müsse er sich übergeben.
    »Wer wird's so wörtlich nehmen, Genosse?« stotterte er. »Wenn es euch hier gefällt, bitte … macht es euch gemütlich. Nur Schmutz wird's geben, wenn ich die Kohlen einschaufle.«
    Luka grunzte und ging ein wenig zur Seite. Eng war es in dem kleinen Führerstand, und als der Zug weiterfuhr und die Feuerungstür geöffnet wurde, wurde es heiß dazu.
    »Ein schweres Leben habt ihr, Brüderchen«, stellte Luka fest. »Keiner von denen, die dahinten sicher und fett und zufrieden gefahren werden, ahnt es. Sie fressen und saufen und verschmutzen die Abteile, aber gibt einer von ihnen euch die Hand, wenn er am Ziel ist? Sagt er: Schönen Dank, Genossen, daß ihr mich und meine Mascha so sicher fortgebracht habt? Sagt das einer, he?!«
    Der Lokomotivführer und der Heizer Stepanij hörten sich das an und schwitzten. Es ist selten, mit einem Idioten zusammen auf einer Lokomotive zu fahren. Wie soll man sich benehmen? Nichts steht darin in der Dienstvorschrift. Da sieht man wieder, wie unvollkommen amtliche Dokumente sind!
    Sie fuhren eine Weile schweigsam durch die Steppe, bis es Luka wieder zu langweilig wurde. Er gab dem Heizer Stepanij einen Puff gegen die Brust und nahm ihm die eiserne Schaufel aus der Hand.
    »Ruh dich aus, Genosse!« schrie Luka in das Zischen und Rattern der Lokomotive hinein. »Ich werde für dich Kohlen schaufeln.«
    »In der Dienstvorschrift steht –«, sagte der Lokomotivführer. Aber Stepanij stieß ihn heftig in die Rippen.
    »Halt's Maul, Kolka Grigorowitsch … sieh doch, arbeiten will er, der

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