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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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daß sie einmal die Partisanen führte. Wäre es nicht wahr, niemand könnte es glauben.
    Natascha zog die Gardine vor das Fenster. Finster war es im Raum und still.
    »Komm«, sagte sie leise und legte die Arme um seinen Nacken. »Ich liebe dich, Luka Nikolajewitsch. Ich möchte ein Kind von dir haben –«
    Wie sinnlos, dachte Sedow. Wir zerfleischen uns selbst. Aber er küßte sie, und er spürte ihre Hingabe und öffnete sein schmerzendes Herz und taumelte vor Glück und Seligkeit, von der er wußte, daß sie wie eine goldene Wolke ist, die verblaßt, wenn die Sonne sinkt.
    Später lagen sie nebeneinander, und Nataschas Kopf ruhte auf seinem Leib. Ihr langes, schwarzes Haar bedeckte seinen Körper.
    »Ein Kind wird sie zwingen, uns zusammenzulassen«, sagte sie mit winziger Stimme.
    Sedow schwieg und starrte gegen das helle Rechteck des verhängten Fensters.
    Zwingen, dachte er. Was sind wir denn? In Rußland war ein Mensch stets soviel wert wie eine Wanze …
    Eine Woche später reiste Luka Nikolajewitsch Sedow wieder ab. Natascha begleitete ihn bis Irkutsk, wo er umstieg in den Rückzug des Transsibirienexpreß, der von Wladiwostok zurückratterte bis Moskau. Es war ein kurzer Abschied, ohne viele Worte. In den Armen lagen sie sich stumm, bis der Bahnbeamte sie auf die Schulter klopfte und sagte: »Wir können uns wegen euch keine Verspätung leisten, Genossen! Steigt ein!«
    Nicht einmal winken tat Sedow. Als der Zug anfuhr, hockte er in seinem Abteil und hatte das Gesicht in den Händen vergraben. Ob er weinte, wußten die Mitreisenden nicht. Sie packten ihre Reisekörbe aus und begannen zu essen. Was ist eine russische Bahnfahrt ohne den Proviantkorb? Ein Mädchen ohne Busen, Genossen, um es ganz kraß zu sagen.
    Erst nach einer halben Stunde sahen die Mitreisenden das Gesicht Sedows. Er hatte gerötete Augen … aber das konnte auch die Schlaflosigkeit sein, die hinter ihm lag. Wer schläft auch, wenn er ein solches Frauchen hat, dachten die anderen und grinsten anerkennend. Beim heiligen Iwan – unsere Mädchen sind schön …
    Tumanow erwartete Natascha am Nachmittag im Übungszimmer am Flügel. Die letzten Noten der Jaroslawna-Partie standen auf dem Programm. Ab morgen sollte Natascha die ganze Rolle im Zusammenhang durchsingen, begleitet vom Orchester aus Irkutsk. Die Kongreßhalle der Partei hatte man für diese Proben zur Verfügung gestellt.
    »Ich werde ein Kind bekommen, Waleri Iwanowitsch«, sagte Natascha, ehe sie die Noten vom Flügel aufnahm. »Sie können es nach Moskau berichten.«
    »Vierter Akt, erste Szene«, sagte Tumanow ohne Bewegung. »Jaroslawnas Klage …« Und dann, etwas leiser … »Ich nehme an, daß du gerade diese Arie besonders gut singen kannst …«
    Natascha hob den Kopf. Als blicke sie noch immer dem Zug nach, so sah es aus. Als sehe sie noch immer den Rauch, der im blauen Himmel zerfiel, und das lange, breite Schienenband, das in die Unendlichkeit zu führen schien und das noch zitterte unter dem Zug, der Glück und Hoffnung von ihr wegtrug.
    »Ach weine, ach armes, armes Herz. Mein Gemahl! Ach, mein Klagen fand nie zu dir,
der so ferne weilt!
Wie ein Vöglein möcht ich fliegen,
weit zu dir ins ferne Land …«
    Tumanows Finger glitten über die Tasten und zitterten dabei, als Natascha sang. Sie ist es, dachte er ergriffen. Sie ist die große Natascha Tschugunowa geworden. Hier wird sie geboren … jetzt, in dieser Stunde … Mit Leid dünge man den Boden der Kunst, um die Blume des Glücks zu ernten …
    »Wie verwüstet ist das Land! Öd und leer das Feld! Dörfer verbrannt vom Feind!
Ach, zerstört ist alles, was uns teuer war.
Kein Lied erklingt, und rings um uns herrscht tiefe Stille,
Stille –«
    Tumanow ließ die Hände auf den Tasten liegen, als Nataschas Stimme verklang. In seinen alten, gütigen Augen glänzten Tränen.
    »Wir fahren nach Moskau«, sagte er stockend. »Nächste Woche fahren wir nach Moskau. Ein neuer Mensch ist entstanden – man muß es hören …«
    Dann sprang er auf, umarmte Natascha und küßte sie wie ein segnender Vater.
    Fünf Tage später fuhren sie nach Moskau mit der Transsibirischen Bahn. Natascha, Waleri Tumanow und Luka.
    »Wie lange fahren wir?« hatte Luka vorsichtshalber gefragt, bevor sie packten.
    »Wenn es keine Aufenthalte gibt … vier Tage.«
    Das deuchte Luka eine lange Zeit. Mit einem Sack voll Essen erschien er auf dem Bahnhof. Und mit einem bunten, mongolischen Pferdekopfschmuck, geflochten aus gefärbtem Hanf und

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