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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gewesen, diese beiden Männer, so war es plötzlich. Nur Luka war geblieben, wie der eigene Schatten. Wie war's auch anders möglich? Man kann den Mond nicht von der Sonne trennen.
    »Ich bin müde«, sagte sie zum ungezählten Male. Diesesmal reagierte Doroguschin schnell. Er verabschiedete sich und fuhr davon. Er war froh, weiteren Fragen entronnen zu sein.
    Die Proben in der Oper begannen. Doroguschin selbst überwachte sie. Die Tendenz des ›Rigoletto‹ wurde umgedeutet: es war nicht mehr das Schauerdrama von Liebe und Haß, von menschlicher Leidenschaft und Vaterschmerz, sondern Rigoletto wurde zum Aufbegehrer gegen Sklaventum und Fürstenhoheit, ein Rebell gegen die besitzende Klasse, die sich alles nehmen kann, auch die Tochter eines armen Krüppels. Es wurde ein Sozialdrama, ein tragischer Spartakus.
    Natascha Tschugunowa sang eine Gilda, wie sie die Moskauer Oper noch nie gehört hatte. Ihre Duette mit Rigoletto, ihre Arie ›Teurer Name‹ waren das Süßeste und doch Explosivste, was Doroguschin je erlebt hatte. Er saß auf seinem Sitz im dunklen Zuschauerraum und schwitzte vor Erregung.
    »So etwas!« sagte er nur immer zu dem Regisseur Shuri Polopow. »So etwas! Nein, so etwas! Ist's zu begreifen?!«
    Luka entwickelte sich in diesen Wochen zu einem Koch. Kasch kochte er, der gute Bär, wenn Natascha aus der Oper kam. Oder eine Fischsuppe, oder Borschtsch, ab und zu auch einen Braten mit Möhrengemüse. Und sonntags, der Teufel hat's erfunden in seiner besten Laune, aßen sie Kapusta, vermengt mit Hackfleisch und Zwiebeln und dicken Graupen.
    Wenn Luka einkaufen ging, und er tat es jeden Morgen mit Sonderlebensmittelkarten, die sie erhielten, lief ein Frieren über die Rücken der ehrbaren Genossen hinter dem Ladentisch. Bekannt war's, daß Luka günstig einkaufte. Er hatte es so eingeführt, und seine Argumente waren zwingend.
    »Zweihundert Gramm Fleisch, Genosse«, sagte etwa der Fleischer und säbelte ein Scheibchen von einer Rinderlende. Er wog es aus, sogar mit dickem Einwickelpapier, der Lümmel, und schob es Luka zu.
    »Eine Brille braucht Ihr, Genosse«, sagte Luka und warf dem erbleichenden Fleischer das Zweihundert-Gramm-Scheibchen auf die Augen. »Auf der Karte steht vierhundert Gramm! Ganz deutlich les ich es! Oder wollt Ihr sagen, ich sei ein Idiot, Genosse?!«
    Der Fleischer sah auf die abgeschnittene Marke. Zweihundert Gramm stand darauf. Es war nicht zu übersehen. »Ihr irrt, Genosse!« sagte er in berechtigter Klarstellung.
    Einen Fehler begeht jeder Mensch, Freunde. Und ein Fehler war's, Luka zu widersprechen. Aber immerhin war's auch verzeihlich, denn er war ja neu in der Gegend.
    »Vierhundert Gramm, du Gauner!« brüllte Luka. Er griff über die Theke, nahm die Rinderlende und schlug sie dem Fleischer um die Ohren.
    »Abrechnen muß ich mein Fleisch!« schrie der Geschlagene. »Wenn nur ein Grämmchen fehlt, ist's Sabotage, Genosse.«
    Er war ein armer Mann, der Fleischer, und alle, bei denen Luka einkaufte, waren arme Menschen, bedauernswerte Geschöpfe, denn Luka machte es ihnen unmöglich, vom gesetzlich anerkannten Schwund der Waren und ungenau anzeigenden Waagen die schlechten Zeiten nach dem Kriege mit vollem Bauch zu überstehen. Sie schrien und jammerten, rangen die Hände und fluchten, drohten mit der Polizei und zeigten ihre Kinderchen, die unschuldigen Engelchen, die nun leiden mußten. Dann erkannten auch sie, daß man zwar einen Felsen im Ural sprengen kann, aber keinen Luka, und fügten sich zähneknirschend in die Diktatur des Riesen. Um den Schaden wieder aufzufangen, stellten sie die Waagen noch ein paar Gramm vor.
    Weniger glatt gelang es, die Verbindung mit Luka Nikolajewitsch Sedow aufzunehmen. Natascha versuchte es erst über Anatoli Doroguschin. Er versprach, nachzuforschen, aber er tat es nicht, der Fettwanst, sondern unterrichtete den Volkskommissar von dem fatalen Wunsch der Tschugunowa, ihren Mann zu sehen.
    »Man sollte einmal großzügig sein, Genosse Volkskommissar«, sagte er bei der vierten Unterrichtung. »Ein paar Tage Glück … und wieder weg mit ihm. Der Stimme kommt's zugute, glaubt es mir. Und was soll schon passieren, Genosse … nach dieser ›Blinddarmoperation‹?«
    Er lachte fett und rieb sich die Hände. War schon ein großes Schwein, dieser Genosse Doroguschin. Aber erreichen tat er nichts. Im Kreml war man anderer Ansicht. Sie änderte sich auch nicht, als Natascha nach langen Verhandlungen endlich zu Berija geführt wurde, dem

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