Natascha
kleinen Mann mit dem Kneifer auf der Nase, der zwischen zwei Fingern soviel Macht hatte wie in anderen Ländern eine Generation von Tyrannen.
Sehr höflich war er, der Genosse Berija, sehr herzlich und sehr gastfreundlich. Er ließ süßen Krimwein kommen und sprach beglückt von einer Probe, der er heimlich beigewohnt hatte.
»Ich hatte tagelang den Gesang Ihrer Stimme im Ohr, Genossin Tschugunowa. Sie sind eine große Künstlerin.«
»Ich möchte meinen Mann sehen«, sagte Natascha. »Sie wissen, wo er ist. Sie haben die Möglichkeit, ihm Urlaub nach Moskau zu geben oder mich zu ihm fahren zu lassen. Warum trennt man uns?! Ich habe auf der Komsomolzen-Schule gelernt, daß Rußland ein freies Land ist, daß wir Sowjetgenossen von aller Knechtschaft erlöst wurden und daß der Mensch in diesem Land noch wirklich die Menschenrechte erhält!«
»Man hat Sie die Wahrheit gelehrt, Genossin«, sagte Berija ruhig. »So ist es.«
»Ich habe für dieses Ideal jahrelang in den Sümpfen gekämpft, ich habe mein Leben dafür eingesetzt –«
»Ich weiß.« Berija lächelte und goß neuen Wein in das geschliffene Glas. »Sie waren die tapferste Frau des großen vaterländischen Krieges, Genossin. Man hat Sie zur ›Heldin der Nation‹ gemacht, zur Trägerin des Leninordens …«
»Und man läßt mich nicht zu meinem Mann!« rief Natascha wild.
»Das ist etwas anderes, Genossin. Luka Nikolajewitsch Sedow ist ein ebenso wichtiger Mann wie Sie. Ein Genie ist er. An großen Staatsaufträgen arbeitet er in Sibirien, Sie wissen es. Er ist dabei, den Vorsprung der USA aufzuholen und Rußland zum mächtigsten Staat der Welt zu machen. Er nicht allein, natürlich nicht … aber er würde fehlen, wenn er seinen Platz verläßt.«
»Warum sollte er ihn verlassen? Wenn ich bei ihm bleibe –«
»… verlieren wir unsere beste Sängerin, die Rußland je geboren hat! Unser Vaterland aber braucht beides … Sedow, den Techniker, und die Tschugunowa, die Sängerin. Sie verstehen, Genossin?«
»Aber Sie können doch die Liebe nicht verbieten!« schrie Natascha.
»Nicht verbieten, Genossin, aber steuern. In Ihrem und des Genossen Sedows Falle ist es widersinnig, die Liebe nur auf einen, auf das Zueinander, zu beschränken. Ihre Liebe gehört den Millionen Russen, denen Ihre Stimme und Sedows technisches Genie eine neue, eine alles übersteigende Achtung in der Welt sichern. Man wirft einen Samen nicht ins Meer, sondern auf das Land, wo er gedeiht und Früchte bringt. Sie und Sedow sind ein Samen Rußlands –«
Wie betäubt verließ Natascha in dem Wagen Doroguschins den Kreml. An diesem Tage blieb sie den Proben in der Oper fern, und Doroguschin rief verzweifelt bei Berija an, ob man Natascha auch so behandelt habe, daß sie weitersingen könne.
»Es war ein kleiner, aber notwendiger Schock«, sagte Berija kurz zu Doroguschin. »Sie wird nicht wieder fragen.«
In der Nacht weinte Natascha. Luka hörte es, und er stampfte in der Wohnung herum und wußte nicht, was er tun sollte. Helfen konnte er nicht, es war unmöglich, Berija wie eine faulige Tomate an die Wand zu werfen.
»Nicht weinen, Täubchen«, sagte er rauh und setzte sich an Nataschas Bett. »Einen klaren Kopf muß man haben. Wie weit ist es bis Jessey, wo dieser Sedow lebt?«
»Viele tausend Werst, Luka. Weiter als Khuzhir –«
Luka kraulte sich den Kopf. Ei, ei, dachte er. An früher muß man denken. Was waren tausend Werst für uns, mein Täubchen? In die Sonne hinein sind wir gezogen, immer geradeaus. Was hindert uns, es wieder zu tun, he?!
»Woran denkst du, Luka?« fragte Natascha schluchzend.
»An eine schöne Zeit, Nataschka. Die Steppe lag vor uns, und den Arm hast du gehoben und gesagt: Dorthin müssen wir. Und gefragt habe ich: Wieviel Werst noch?! Und du hast gesagt: Werst, du Idiot?! Haben wir nicht Zeit, bis ans Ende der Welt zu laufen?! – Nicht vergessen hab' ich's, Täubchen. Es war eine schöne Zeit –«
Natascha verstand ihn. Mit beiden Händen griff sie zu und umklammerte Lukas Kopf.
»Wir fahren, du Idiot!« sagte sie leise. »Ja … wir fahren … So wie früher, nicht wahr? Zeigen werden wir es, daß wir freie Menschen sind!«
»Juchhei!« schrie Luka und hob Natascha aus dem Bett. Er drückte sie an sich wie ein weinendes, krankes Kind und stampfte mit ihr durch die Wohnung. »Sie lebt noch, die Nataschka von Krassnoje Mowona! Sie lebt noch, der kleine, schwarze Leutnant. Angst hatte ich, daß mein Vögelchen das Singen gelernt, aber
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