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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Luka«, sagte sie. »Können wir es ändern?«
    »Aber den Schädel schlage ich ihm ein!«
    »Warum? Er hat nur seinen Befehl ausgeführt.«
    So kam es, daß Luka ruhig und gelassen die Tür aufschob und dem Offizier zuwinkte wie einem alten, guten Freund.
    »Einen Orden wirst du bekommen, Brüderchen!« sagte er. »Bist ein fleißiger Soldat.«
    Der Offizier trat an den Waggon heran. Er grüßte sogar, als steige ein General aus dem Wagen.
    »Natascha Tschugunowa?«
    Natascha kam nach vorn. »Ja. Sie haben Befehl, mich zu verhaften, nicht wahr?«
    Der Offizier sah die zarte, kleine Frau verwundert an. Man soll's nicht glauben, dachte er, aber nicht immer macht die Größe einen Helden aus.
    »Ich habe den Befehl, Sie zurück nach Moskau zu schicken, Genossin«, sagte er höflich. »Darf ich behilflich beim Aussteigen sein?« Er reichte Natascha seine Hand hin, und sie sprang aus dem Waggon auf den Schotterboden. Luka schob sich hinterher. Erst die Beine, dann die Schenkel, dann der Leib. Hört er denn gar nicht auf? dachte der Offizier. Dann sah er endlich an Luka empor, und er erschrak sehr, als er den Kopf betrachtete.
    »Bitte, Genossen, machen Sie keine Schwierigkeiten!« sagte er sanft. »Mit dem nächsten Zug werden Sie zurück nach Moskau fahren. Ich darf Sie begleiten.«
    »Ein Floh, der uns jucken will!« schrie Luka.
    »Sei still!« Natascha hob die Hand. »Ein armer Mensch wie wir ist er. Fahren wir also nach Moskau zurück –«
    Und so geschah's. Am nächsten Morgen waren sie wieder in Moskau, und Doroguschin stand mit einem Blumenstrauß auf dem Bahnsteig und empfing Natascha wie nach einer erfolgreichen Tournee.
    »Willkommen!« jubelte er. »Willkommen, Engelchen! Sie haben sich doch nicht erkältet, was?«
    »Nicht die Kehle, nein, Genosse«, sagte Natascha und gab den Blumenstrauß an Luka weiter, der ihn unter den Wagen auf die Schienen warf.
    »Wie glücklich wir sind!« Doroguschin rieb sich die Hände. »Was haben Sie denn erkältet, Nataschka?«
    »Das Herz –«
    Doroguschin wurde plötzlich ernst. »Wir werden es aufwärmen, Genossin. Nach der Saison in Moskau werden Sie reisen. Die Abschlüsse liegen schon vor. Zuerst nach Budapest und dann nach Warschau. Sie sehen, wir bieten Ihrem erkälteten Herzen die Sonnenstrahlen der Welt –«
    Natascha sah sich um. Man betrachtete sie aus angemessener Entfernung. Ihr altes Kleid trug sie, schmutzig und fleckig, hohe Stiefel und eine Wolljacke. Als käme sie aus der Tundra, so sah sie aus. In Lukas Gesicht wucherte wieder ein Urwald; öffneten sich seine Lippen und gaben die Zähne frei, rieselte ein Kribbeln durch die Kniekehlen der Zuschauenden.
    »Ich werde zu meinem Mann kommen!« sagte Natascha leise. »Ich lasse mich nicht zwingen!«
    »Gewiß nicht, Genossin.« Doroguschin beugte sich vor. »Bedenken Sie, daß die Sammlung von Erfolgen ein Paß für Sibirien ist. Eine Übergangszeit ist's doch nur …«
    Natascha schwieg. Budapest und Warschau, dachte sie. Und überall, wohin ich komme, werde ich erzählen, wie frei die Menschen in Rußland sind!
    »Ich möchte, daß Waleri Tumanow mich auf den Auslandsreisen begleitet«, sagte sie, als sie zum Ausgang des Bahnhofes gingen. Doroguschin machte ein schmerzvolles Gesicht, als ginge er auf Stacheln.
    »Der gute alte Waleri«, sagte er mit brechender Stimme. »Genossin, Sie wissen es noch nicht, heute kam das Telegramm aus Khuzhir … Tumanow ist tot.«
    Natascha blieb stehen. »Nein!« rief sie.
    »Doch, Natascha. Ertrunken ist er, der Gute –«
    »Ertrunken? Tumanow?«
    »Den Fischern wollte er zusehen, der liebe Mensch. Mit einem Boot fuhr er hinaus, nicht weit, man konnte ihn vom Ufer sehen. Und plötzlich schlug es um, das Boot. Nicht schwimmen konnte er, der gute Alte. Er war Musiker und kein Sportsmann. Und so ertrank er. Der große Tumanow. Es ist ein Verlust für Rußland … man sollte weinen –«
    Natascha preßte die Lippen aufeinander. Oh, dachte Luka erschrocken, oh … so sah sie aus, als sie den deutschen Feldwebel in den Ameisenhaufen legte. Freunde, betet still für die Seele Doroguschins –
    Als sie allein waren, ein gefangenes Vögelchen und ein gefesselter Bär in einem vergoldeten Käfig, saßen sie wieder am Fenster der schönen, großen Wohnung und sahen über die Türme des Kreml, den Roten Platz und hinüber zum Bolschoi-Theater.
    »Nicht denken darf man«, sagte Luka und stützte den Kopf in beide Hände. »Mein Pferdchen tot, Tumanow tot, Fedja tot – sind wir in

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