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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kreml säßen keine klugen Köpfchen.
    Das alles vergaß man bei dem Opernabend. Viel Glanz war da. Genosse Stalin erschien als Generalissimus mit einer Brust voller Orden, und Bulganin war da und Budjenny, Kaganowitsch und Berija, Molotow und Chruschtschow, Malenkow und Kalinin, Rokossowskij und Schukow … einfach herrlich war's, sie alle in den Logen zu sehen, ihnen zuzuklatschen und immer wieder zu rufen: Frieden! Sieg! Sieg! Sieg!
    Doroguschin hatte einen Frack an, geschmückt mit einigen Orden. Er begrüßte Stalin, und dieser gab ihm die Hand, lächelte wohlwollend und klopfte ihm sogar auf die Schulter. Die Seligkeit sah man aus Doroguschins Augen leuchten; es fehlte nicht viel, und er hätte vor Wonne geheult.
    Dann wurde Natascha Tschugunowa vorgestellt. Im Vorraum der Loge wartete sie, schon im Kostüm der Gilda, ein zartes, süßes Weibchen. Doroguschin hatte verlangt, daß sie den Leninorden ansteckte, und nun glänzte er auf dem Opernkostüm, als gehöre er zur Dekoration des Rigoletto.
    Im Hintergrund stand Luka. Ein Kampf war's gewesen, bis er dort stand. »Unmöglich!« hatte Doroguschin gebrüllt und die Hände gerungen. »Ich kann kein Fossil in die Loge stellen! Eine Oper ist's und keine erdgeschichtliche Ausstellung!«
    »Luka kommt mit«, hatte Natascha milde gesagt. »Oder ich höre mitten in der Arie mit dem Singen auf!«
    Es blieb dabei, wen wundert's, Freunde? Luka wurde in die Ecke des Logenvorraums gestellt, wie eine Säule, die eine Wand abstützt. Einen schwarzen Anzug hatte er an, aber ein Gewand zum Weinen war's. Für einen Schneideranzug war's schon zu spät; so lieh man von dem größten Mann, den man in Moskau kannte, eine Bekleidung, in die sich Luka zwängte. Nicht sitzen konnte er, sonst sprang die Naht der Hose auf, und auch den Rock bekam er nicht zu. Jedoch er war rasiert, gekämmt und sogar gebadet. Das machte einiges im Aussehen aus.
    Tja, und nun war Stalin da und reichte Natascha Tschugunowa seine Hand.
    »So sieht eine Heldin aus!« sagte er mit seiner tiefen Stimme gütig. »Sie werden den Namen unseres Volkes in die Welt tragen, Genossin. Ich bin mit Ihnen glücklich.«
    Noch ehe Natascha antworten konnte, fiel Stalins Blick auf die menschliche Säule an der Wand. Die buschigen Augenbrauen hob er, sah zur Seite auf den erbleichenden Doroguschin und zurück zu Berija und Malenkow.
    »Was ist das?« fragte er.
    »Luka ist's, Genosse«, antwortete Berija anstelle Doroguschins, der mit einem Kloß in seiner Kehle rang. »Er gehört zu Natascha Tschugunowa wie der Mist zur Ackerfurche.«
    Ein guter Witz war's, und Stalin lachte laut. Auch Luka grinste breit.
    »So etwas ist nun ein Mensch!« sagte Stalin fast bewundernd. »Man sollte es nicht für möglich halten.«
    Dann ging Stalin in die Loge, im Zuschauerraum klatschten zweitausend begeisterte Menschen, Natascha rannte durch die Gänge hinter die Bühne, und Luka folgte ihr, steif, aufrecht und langsam gehend, denn jeder starke Schritt war ein Anschlag auf die Hose.
    Muß man sagen, Freunde, daß die Aufführung ein Erfolg war? Ach was, ein Triumph war's, die Geburt einer Wunderstimme, die Taufe einer Primadonna assoluta. Noch nach einer Woche sprach man in Moskau von diesem Opernabend, und das will etwas heißen, wo's so vieles gab, was man besprechen konnte, etwa die Butterknappheit oder die Auseinandersetzung mit den Amerikanern wegen Berlin.
    Sogar ein Telegramm kam bei Natascha an. Nein, wirklich, kein billiges Märchen ist's … Luka Nikolajewitsch Sedow, der Ehemann in Jessey in Sibirien, hatte einen Glückwunsch geschickt. Berija ließ ihn durch zu Natascha. Immer höflich sein, dachte er. Sehen soll man, daß wir ein Herz haben.
    »Alles Glück der Welt für Dich, mein Liebstes«, hatte Sedow telegrafiert. Mehr nicht. Der leitende Oberingenieur in Jessey hatte bewiesen, daß jedes Wort mehr die strapazierte Leitung blockieren würde, und jede Sekunde wäre jetzt wichtig für den Aufbau.
    Für Natascha jedoch genügte es. Doroguschin hatte ihr das Telegramm unmittelbar vor ihrem Auftritt überreicht. Mit einer großen Geste tat er es, wie das Gratulieren mit einem Rosenstrauß. Kam's daher, daß Natascha so wundervoll sang?
    Nach der Oper gab es ein Essen im großen Saal des Kreml. Alle Diplomaten waren da mit Ordensbändern und gestickten Fräcken, Offiziere aus Amerika, England und Frankreich, die sowjetischen Heerführer und alle Volkskommissare aus dem Obersten Sowjet. Kaviar gab's und Krimsekt, milden Wodka

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