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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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tanzender Bär nach der Orgel.
    Aber Polina fragen, o nein, das tat er nicht. Er seufzte nur und sagte einmal in tiefer Melancholie: »Man könnte einen Wald ausreißen … aber unmöglich ist's, dieses Blümchen auszurupfen –«
    Es vergingen ganze neun Monate, und wieder wurde es Frühling über Moskau, und das Eis auf der Moskwa mußte gesprengt werden, denn es drückte auf die Brückenpfeiler und schob sich krachend übereinander, bis die Gastspiele in Budapest und Warschau festgelegt waren. Die Stimme und der Name Natascha Tschugunowas waren mittlerweile in der Welt bekannt geworden. Radiosendungen und Schallplatten trugen ihre Stimme in alle Länder, und es war ein großes Erstaunen überall dort, wo man sie hörte. An technische Tricks glaubte man, an ein Frisieren der Stimme durch geschickte Tonsteuerungen. »So kann kein Mensch singen«, sagte ein Musikexperte in New York. »Ich habe alle großen Sängerinnen gehört – irgendwo ist eine Grenze, und diese Grenze soll gerade diese Tschugunowa durchbrechen?«
    Man wollte es wissen. Angebote kamen nach Moskau auf den Schreibtisch Doroguschins. Aus Paris, aus London, aus New York, aus Buenos Aires, aus Athen, aus Rom, Mailand und Neapel. Doroguschin trug sie alle in einer Mappe zu Berija.
    »Noch zu früh«, sagte dieser. »Die Genossin Tschugunowa ist noch nicht so weit, daß sie außerhalb unserer Freunde singen kann.«
    »Nicht so weit?« Doroguschin setzte sich entgeistert. »Eine Steigerung der Stimme ist unmöglich!«
    »Nicht der Stimme … der politischen Zuverlässigkeit, Genosse.« Berija nahm die Einladungen an sich und blätterte sie noch einmal durch. »Wenn sie nicht eine so einmalige Stimme hätte –«, sagte er gedehnt.
    Doroguschin nagte an der Unterlippe. Oh, dachte er. Eiskalt überläuft's einem, wenn man so was hört. Der gute alte Tumanow ist ertrunken, nun ja, er hatte keine gute Stimme. War nur ein Lehrer, ein guter zwar … aber ersetzbar war er. So etwas ist immer schlecht. Ein ersetzbarer Mensch hat nur die halben Rechte; ist ein verteufeltes Gesetz, das da die Menschen machen. Und da er fühlte, daß auch ein Doroguschin zu den Ersetzbaren gehörte, schwieg er und nickte Berija begeistert zu, als dieser sagte:
    »Wir werden alle Einladungen beantworten, Genosse. Es liegt ja noch so vieles vor uns –«
    So fuhr man also ab, zunächst nach Budapest. Natascha Tschugunowa sang die Rusalka in der gleichnamigen Oper von Dvorak. Das Mondlied aus dem ersten Akt mußte sie zweimal wiederholen … wirklich, Freunde, es war, als seien die Budapester mondsüchtig geworden. Sie trampelten, sie schrien »Bravo! Bravo!«, und keine Ruhe gaben sie, die temperamentvollen Menschen, bis Natascha vor den Vorhang trat und den Mond besang:
    »Gleitender Mond du, so silberzart, sendest weithin deine Blicke,
auf deiner lichten Wanderfahrt
siehst du der Menschen Geschicke …«
    Von Budapest sah sie wenig. Doroguschin bewachte sie wie der Teufel eine verschriebene Seele, und auch Polina Jelzowa erwies sich als treue Begleiterin. In einer Pressekonferenz sprach Doroguschin, während Polina beim Abschminken Nataschas half. Als sie umgezogen war, reichte es gerade noch für einige Blitzlichtaufnahmen.
    Im Zimmer ihres Hotels stapelten sich die Blumensträuße. Drei von ihnen zweigte Luka ab und stellte sie Polina ins Zimmer. Nicht einmal bedanken tat sie sich dafür … ein unhöfliches Mädchen, das muß man sagen.
    Nach dem Gastspiel in Warschau mit ›Othello‹ reiste man zurück nach Moskau. Das Ziel war erreicht. Die großen Opernhäuser in aller Welt hatten ihre Beobachter entsandt, die Radiostationen hatten die Abende übertragen. Einig war man sich überall: Kein Trick verhalf der Stimme der Tschugunowa zum Erfolg. Eine Stimme war's, wie sie nie gehört worden war. Süß und kräftig, wegschmelzend und leidenschaftlich, lyrisch und explosiv dramatisch … nichts gab es, was diese Stimme nicht singen könnte. »Ein Naturereignis wie ein Vulkanausbruch oder ein Seebeben«, schrieb eine Zeitung in New York. »Wann singt die Tschugunowa bei uns?«
    »Wir haben Zeit«, sagte Berija, als er die Kritiken las. »Zur rechten Zeit das Richtige tun, das haben sie im Westen verlernt. Wir werden es ihnen vormachen, Genosse.«
    Der Alltag kam wieder … der Rhythmus eines erfolgreichen Lebens. Luka kochte und kaufte ein, Natascha sang in Moskau, und wie ein Mechaniker im Werk ›Roter Oktober‹ sein Tagessoll erfüllte, so tat Natascha ihre Pflicht, und alle

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