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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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waren sehr zufrieden. Ab und zu fuhr man herum … nach Kiew, Charkow oder Leningrad, sogar nach Ulan-Bator und Irkutsk. Das Grab des guten alten Tumanow durfte Natascha sehen … im Park des Schlosses von Khuzhir lag es, bedeckt mit einem dicken Stein.
    »Mein armes, ehrliches Väterchen«, sagte Natascha am Grab. Es war ein Ausdruck, den Polina pflichtbewußt nach Moskau meldete.
    Auch Luka machte einen stillen Besuch. Er ging am Ufer des Sees entlang und besichtigte den Steinwall vor der Uferhöhle. Er war noch unversehrt, und Ulan Högönö lag noch immer dort. Sogar die Fischer traf er wieder und schenkte ihnen eine Flasche Wodka.
    »Das waren Zeiten, Brüderchen!« rief er und stieß mit allen an. »Die Freiheit lebe hoch!«
    Und so ging die Zeit dahin … sie schlich nicht mehr, sie jagte über die Menschen wie der Frühlingssturm über die Tundra. Wegfegen tat sie die Gedanken und das Warten auf Luka Nikolajewitsch Sedow, und manchmal war's Natascha, als läge alles weit zurück wie eine dunkle Kindheit … Krassnoje Mowona, die Deutschen, das Leben in den Sümpfen, das Warten auf den Frieden, der Zug nach Moskau, das weiße Haus in Saratow – und auch der liebe Fedja wurde jetzt ein Bild in einer langen Galerie Erinnerungen, und neben ihm hing der deutsche Offizier, den sie Ilja nannte, und Sedow hing dort, merkwürdig, auch er, obgleich er lebte und schrieb … im Vierteljahr einmal, dumme, allgemeine Zeilen, wie sie jeder schreibt, über das Wetter, die Nacht, die Sehnsucht, die Liebe … Nur Luka war noch da, unverändert wie damals, als er durch den Schnee in die Datscha kroch und Mamaschka den Speck aus der Pfanne fraß.
    Am 5. März 1953 stürzte Doroguschin in das Haus und sank erschöpft in einen Sessel.
    »Tot ist er!« stöhnte er. »Soeben … im Kreml wissen es nur wenige … Was nun? Zerfleischen werden sie sich wie Kampfhähne in der Arena!«
    Luka kam aus der Küche. Er rührte einen Brei für einen Speckfladen an. »Wer ist tot, Genosse?« fragte er.
    »Stalin, du Esel!«
    Still war es dann. Sie sahen sich alle an, aber nicht mit Trauer, sondern fragend und in tiefen Gedanken.
    »Vieles wird sich ändern«, sagte Natascha.
    »Malenkow soll der Nachfolger werden. Man munkelt's nur. Ein weicher Kurs wäre es … Aber Chruschtschow ist noch da und Molotow … und vergeßt Berija nicht … Weiß man, an wen man sich jetzt halten soll?! Umbringen kann einen die Ungewißheit –«
    Natascha hob die schmalen Schultern. »Ich werde singen wie bisher – was kümmert's mich?«
    »Ja! Sie, Genossin, Sie! Millionärin sind Sie, ›Verdiente Künstlerin des Volkes‹, ein Porzellanfigürchen, das niemand antasten darf, damit es nicht zerbricht … Aber ich? Ein Freund Berijas bin ich! Im Hintergrund warten die Neider.« Doroguschin stöhnte laut und hob beide Hände. »Werden Sie mir helfen, Genossin?! War ich nicht immer ein guter Mensch, sagen Sie?! Habe ich Sie nicht betreut, besser als ein Vater seine Kinder? Wird es Ihnen überhaupt möglich sein, zu singen ohne mich?! Überlegen Sie's, Genossin.«
    »In die Hose macht er, ei, ei«, sagte Luka. »Der große mächtige Doroguschin. Der uns das Läuschen Polina in den Pelz gesetzt hat –«
    »Nicht ich. Berija –«, schrie Doroguschin. »Die Briefe hat er auch behalten –«
    »Welche Briefe –?«
    »Die von Sedow und von Ihnen, Natascha. In den Akten lagen sie, ich hab's gesehen! Nur einmal in einem Vierteljahr ließ er ein Briefchen durch …«
    »O welch ein Schweinchen!« sagte Luka. Er legte seine Rührschüssel hin und rieb die Hände an den Hosen ab. »Und gewußt hat er's, hast du's gehört, mein Täubchen? Wie ein Wänzchen hat er sich benommen, versteckt im Kissen und nur des Nachts gezwickt … Die ganzen Jahre hat er's so getan, der Schleicher.«
    »Es wird sich alles ändern, Luka!« brüllte Doroguschin. »Glaubt mir, Genossen … ein weicher Kurs wird kommen, ihr werdet Sedow sehen … wenn ihr mithelft –«
    Er kam nicht weiter. Wie eine Ratte nahm ihn Luka an dem Kragen, trug ihn aus der Wohnung und warf den Schreckerstarrten die Treppe hinunter. Ein Poltern war's, ein Kreischen und Stöhnen, ein Jammern und Lamentieren. Der Hausmeister half Doroguschin unten im Treppenhaus wieder auf die Beine und klopfte ihm den Staub vom Mantel, was bewies, daß der faule Schlingel von Hausmeister die Treppe noch nicht geputzt hatte.
    Zwei Tage später wurde Doroguschin verhaftet und in die Lubjanka geschafft. Ein Loch von einer Zelle bekam er,

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