Natascha
eine Bereicherung für uns.«
Der General versprach, es sich zu überlegen. Er ließ die Militärpapiere Lukas kommen, sah sie durch und erkannte, daß ein williger Idiot nützlicher sein kann als ein idiotischer Williger. »Nach Smolensk in Marsch setzen!« schrieb er nach Schamowo. »Melden beim Generalkommando.«
Was dann geschah, davon sprach man später von Mogilew bis Smolensk und sogar bis Witebsk. Luka fuhr nach Smolensk. Mit einem Lastwagen. Ein halbes Haus transportierte er mit, Betten, einen Herd, Kochtöpfe, ein lebendes Schwein, zehn Hühner, zwei Gänse und sieben Kaninchen. Und Darja. Natürlich auch sie. In Schamowo winkte die ganze Kompanie wehmütig der ›Kompaniebraut‹ nach, und es war keiner da, der Luka nicht ehrlich beneidete.
Von nichts wußten Fedja und Natascha, als sie aus dem Küchenfenster sahen, weil auf dem Kasernenhof ein großer Krach begann. Ein Auto war gekommen, mit gackernden Hühnern und quietschendem Schwein. Der Posten hatte sich geweigert, das Gefährt passieren zu lassen, aber der Fahrer hatte Gas gegeben und war an dem Posten vorbei in die Kaserne gefahren.
Nun stand der Wagen mitten auf dem Exerzierplatz, ein Offizier rannte herbei, ihm folgten drei Mann der Militärpolizei. Vom Tor, von der Wache her, blies jemand Alarm.
Wie ein Bär aus seiner Winterhöhle wälzte sich Luka aus dem Führerhaus, reckte sich und sah dem Offizier entgegen. Durch das andere Fenster sah ein erschrockenes, bleiches, rundes Mädchengesicht.
»Luka!« sagte Fedja entgeistert. »Natascha, siehst du's? Es ist ja Luka!« Er riß das Küchenfenster auf und schrie zur Kaserne hinüber.
»Luka! Luka, der Idiot!«
Luka wirbelte auf dem Absatz herum. Über sein breites, staubiges Gesicht zog es wie der Glanz einer Abendsonne.
»Mein Leutnant«, brüllte er. »Fedja Iwanowitsch … hier bin ich! Und wenn du bis Irkutsk gehst … ich komme nach!«
Der Offizier blieb hinter Luka stehen, die Militärpolizisten scharten sich um ihn.
»Kennen Sie dieses Scheusal, Genosse Leutnant?« rief der Offizier zu dem gegenüberliegenden Haus hinauf. Fedja winkte mit beiden Armen.
»Gefreiter Luka aus Schamowo ist's, Kamerad! Der Genosse General hat ihn nachkommen lassen. Seine Papiere werden's zeigen.«
»Und was soll das Weibsstück hier?«
Fedja grinste breit. »Die Kompanien werden Ihnen dankbar sein, Genosse!«
Er schloß das Fenster, zog seinen Uniformrock an und rannte hinunter zur Kaserne.
Natascha lehnte die Stirn an die Fensterscheibe. Ein Stückchen Heimat, dachte sie. Zwischen Steinhäusern und Autos, Straßenbahnen und vornehm gekleideten Leuten ein Hauch der Steppe, der aus Lukas Körper aufsteigen würde. Glücklich war sie, wirklich glücklich.
Um fünf Uhr morgens jagte Luka die Astachows aus dem Bett. Fedja erwachte, weil jemand an seiner Tür trommelte. Er zog einen Bademantel an, deckte Natascha zu und öffnete.
»Was soll's?« schimpfte er, als er Luka sah.
»Alarm, Genosse Leutnant!« schrie Luka. Erst jetzt sah Fedja, daß Luka seinen Kampfanzug trug. Ein großer, harter Block fiel auf sein Herz.
»Die Deutschen haben Polen angegriffen! Vor einer Viertelstunde! Alarm für alle Truppen!«
Fedja Iwanowitsch sah auf den Kalender, der an der Wand hing.
1. September 1939.
»Es ist gut, Luka«, sagte Fedja leise. »Ich bin sofort da –«
Er schloß die Tür und wischte sich über das Gesicht. Natascha sprang aus dem Bett. Ihre nackten Fußsohlen klatschten auf den Dielen, als sie zu Fedja lief und ihn von hinten umarmte.
»Krieg …?« stammelte sie. »Du mußt weg, Fedjascha …?«
Ihr warmer Körper zitterte wie ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen. Krieg, dachte sie. Kann man das begreifen? So groß ist die Erde, und alle wollen Ruhe, und alle können leben … und plötzlich ist Krieg, und die Männer müssen weg, und viele werden sterben.
»Sie haben Polen überfallen, die Deutschen«, sagte Fedja leise. »Nach Rußland werden sie nicht kommen. Was wollen sie denn hier? Nein, nein, Natascha … bestimmt kommen sie nicht. Sie werden sich die Zähne ausbeißen wie ein Wolf, der einen Stein verschlingen will. Sie wissen es, die Deutschen. Aber Alarm muß sein. Man muß zeigen, wie stark man ist …«
Es war wirklich nur ein Alarm. Als wenn es Krieg gäbe in Rußland, wurden die Marschkolonnen zusammengestellt, die Wagen beladen und dann abmarschiert. Außerhalb Smolensks, bei Schirjajewo, traf sich die ganze Division, an der Spitze der Genosse General in einem
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