Natascha
Haar war etwas länger. Als Offizier brauchte er keinen kahlen Schädel mehr. Breiter in den Schultern war er noch geworden, männlicher und stärker. Die schlanken Beine staken in hohen Juchtenstiefeln, darüber beulten sich die Reithosen, mit Leder besetzt. Ein schöner Mann, hol's der Teufel. Die Weiber der Sowchose steckten die Köpfe zusammen und tuschelten und beneideten Natascha.
Natascha trug ihre Komsomolzen-Uniform, den Rock mit der Bluse und dem roten Halstuch. Aber darauf achtete man nicht. Wie ein Schleier waren ihre schwarzen Haare. Bis zu den Hüften flossen sie, und Olga hatte in sie kleine Blüten festgesteckt, goldene Tupfen aus Goldregen, silberne Sterne aus Weißdorn und rote Glocken aus Zwergtulpen. Als sie aus dem Auto stieg, das Luka steuerte, ging ein Raunen durch die Männer. Nikolai vernahm es, und seine Brust wölbte sich heraus. Was gibt es Kräftigeres als einen stolzen Vater?
Hand in Hand wurden Fedja und Natascha getraut. Der Bezirkssowjet Lew Pawelewitsch Alajew hielt einen Vortrag über die Ehe im Arbeiter- und Bauernparadies, über den Sinn des Kinderkriegens als Beitrag zum Fünfjahresplan, ermahnte die jungen Leute, immer im Geiste Lenins und Marx' zu leben und ließ den Genossen Stalin hochleben. Dann fragte er, ob Natascha den Fedja Iwanowitsch und Fedja die Natascha Tschugunowa haben wollte, und als sie beide laut »Ja!« riefen, nickte Alajew zufrieden und erklärte feierlich:
»Nun seid ihr Mann und Frau. Ein neuer Stein des Aufbaus ist in das Gebäude unserer Sowjetrepublik eingefügt.«
Am Abend, nach den Gratulationen und dem Essen und Trinken und nachdem alle in den Ecken lagen, im Stroh neben den Pferden, betrunken und satt bis zum Zäpfchen, geschah etwas Unheimliches.
Ein alter Mann kam ins Haus. Von hinten, aus dem Wald kam er im Schutze der Nacht. Eine alte Segeltuchtasche trug er bei sich, und Olga ließ ihn schnell herein und verriegelte alle Türen. Nur Nikolai und sie und die jungen Eheleute waren im Zimmer. Ein wenig ängstlich und abschätzend sah der alte Mann auf Fedja Astachow.
»Das ist Gennadi Wassilijewitsch Nikitin«, sagte Nikolai zu seinem Schwiegersohn. »Siebzig Jahre ist er alt, und bis vor zehn Jahren war er noch der Pope von Tatarssk. Dann hat man eine Wodkafabrik aus seiner Kirche gemacht und ihm ein Stückchen Land gegeben, damit er leben kann. Nikitin war der letzte Pope im ganzen Kreis …«
Gennadi Wassilijewitsch packte seine Segeltuchtasche aus. Ein altes, verschlissenes, verblichenes und schmutziges Meßgewand zog er heraus, ein silbernes Kreuz und einen Räucherkessel, verbeult und glanzlos. Olga kniete nieder und küßte das Kreuz, dann lief sie mit dem Räucherkesselchen in eine Ecke, stopfte Kräuter hinein und schraubte es zu.
In der Ecke neben dem Ofen, in der sonst das Stalinbild hing, leuchtete jetzt schwach eine schöne, goldene, alte Ikone. Flackernd brannten zwei Ewige Lichter in roten Schalen davor. Olga hatte die Ikone aus dem Versteck geholt. Nicht einmal Nikolai wußte, wo sie sie verbarg. Er wollte es nicht wissen, um sein sozialistisches Gewissen nicht zu belasten. Nun war die Ikone plötzlich da, und mit milden, großen Augen sah die Heilige Mutter auf Fedja Iwanowitsch, der langsam in die Ecke trat und das Bild anstarrte.
»Unser Mütterchen will es so«, sagte Nikolai Igorowitsch fast entschuldigend. »Ist ja ihr einziges Töchterchen, Fedja, ein Stück ihres Herzens, der Sinn ihres Lebens. Lassen wir ihr die Freude … ein ganzes Leben hat sie darauf gewartet. Wenn's auch altmodisch ist … die Weiber glauben eben an Gott.«
Fedja tastete nach den Händen Nataschas. Er hielt sie fest, den Blick auf die Ikone. Zu Hause, dachte er, ist es genauso. Auch dort ist eine Ikone, versteckt im Schlafzimmer. Als er wegging zum Militär, hatte Mütterchen für ihn gebetet, und sogar Väterchen hatte das Kreuz geschlagen. Peinlich war ihm das, dem jungen Komsomolzen, der nun Offizier werden wollte. Sie begreifen einfach nicht die neue Zeit, hatte er gedacht. Zu alt sind sie, die Eltern … Und nun stand er wieder vor einer Ikone und starrte in das umflackerte Gesicht der Heiligen Mutter. Und es war seine Hochzeit. Die Hochzeit des Leutnants Fedja Astachow.
Der alte Nikitin hatte das Meßgewand angelegt. Das silberne Kreuz schaukelte vor seiner Brust. Nikolai hatte die Kräuter angezündet … süßlicher Geruch verbreitete sich in der Stube.
»Wollt ihr?« fragte Olga leise. Ihre Augen bettelten. Fedja nickte stumm.
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