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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Hauptmann lächelte. Er musterte das Mädchen in der deutschen Uniformhose und dem alten deutschen Wehrmachtspullover. Ihre langen, schwarzen Haare waren blutverkrustet, ihr schönes, schmales Gesicht zerschlagen, nur die etwas schrägen, schwarzen, glühenden Augen waren ungebrochen.
    »Chotschech kuschatj?« fragte der Hauptmann. Er sprach russisch. Er fragte, ob sie essen wolle. Natascha atmete tief. In ihr brannten die Magenwände aus. In ihrem Bauch loderten Feuer und fraßen sich weiter zu den Därmen, den Rücken hinauf bis in den Hals. Sie stöhnte und schwankte leicht.
    »Njet –«, sagte sie wieder.
    »U menja miaso i chleb …«, sagte der Hauptmann. (Ich habe Fleisch und Brot.)
    Natascha schüttelte den Kopf.
    »Erschieß mich doch!« keuchte sie.
    »Warum?«
    »Ich habe dem Feldwebel ein Ohr abgebissen.«
    »Ich weiß.« Der Hauptmann steckte den Streifen mit dem Rindfleisch in seinen Mund. »Aber er hat dich vergewaltigen wollen, nicht wahr?«
    »Ja. – Aber das tun sie alle. Alle! Wie Tiere sind sie, die Deutschen –«
    »Na, na!« Der Hauptmann trank einen Schluck Tee mit Rum. Es roch stark nach Alkohol in dem Zelt. »Warum nur die Deutschen allein? Weißt du, wie sich eure Kalmücken und Mongolen, Kirgisen und Kosaken benehmen würden, wenn sie nach Deutschland kämen? Aber sie werden nie hinkommen … davon ganz abgesehen! Wie haben sie sich in Ostpreußen benommen, damals, 1914? Greisinnen haben sie zu Tode vergewaltigt, Kinder auseinandergerissen … zu zwanzig Mann sind sie über die Frauen her … bei dir war's nur ein Feldwebel! Immerhin hat er sein Ohr weg. Er wird zeit seines Lebens an dich denken. Wie heißt du?«
    »Natascha Astachowa.«
    »Verheiratet also? Wo ist dein Mann?«
    »Er kämpft gegen die Deutschen. Er ist Leutnant der Roten Armee. Vielleicht ist er draußen im Lager …«
    »Dann hat er's gut! Für ihn ist der Krieg zu Ende. Er wird nach Deutschland kommen, in ein Bergwerk, in eine Fabrik, zum Straßenbau. Lebt er aber noch … dort« – der Hauptmann zeigte nach Osten, wo die Sonne eben über den weiten Horizont klomm und das Land golden leuchten ließ – »wird's ihm übel ergehen. Unsere Panzer sind nicht aufzuhalten. Wir werden durchfahren bis Moskau … und dann weiter, wenn ihr nicht kapituliert … bis zum Ural, bis nach Sibirien … Rußland ist tot!«
    »Nie. Es kann gar nicht sterben«, sagte Natascha. Sie schwankte auf den Tisch zu und klammerte sich an seiner Kante fest. In ihrem Leib explodierten die Därme, so ein Gefühl war's.
    Der Hauptmann sah sie nachdenklich an. Das ist kommunistische Schulung, dachte er. Noch sterbend glauben sie an das ewige Rußland. Das ist der Fanatismus, gegen den wir anrennen müssen.
    »Du wirst in der Küche helfen!« sagte er hart. »Wir haben hier 200.000 Gefangene. Auf einem Haufen! Wir wissen gar nicht mehr, wohin mit ihnen … In der Küche kannst du arbeiten. Für Rußland!« Er lachte meckernd.
    »Und das Ohr?« fragte Natascha.
    »Ach so! Das Ohr des Feldwebels Bollmeyer. Das wird noch ein Nachspiel haben! Bei Bollmeyer! Er wird bestraft werden …«
    »Der Feldwebel –?«
    »Aber ja.«
    »Und ich werde nicht erschossen?«
    »Nein.«
    »Aber ich habe doch einem deutschen Soldaten ein Ohr …«
    Sie begriff es nicht. Auch als sie schon zur Küche ging, einer ausgeräumten, großen Kolchosenscheune, verstand sie nicht, daß man sie nicht erschossen hatte. In der Scheune arbeiteten zwanzig andere Frauen und fünfzig kräftige Gefangene. Sie zerteilten Kohlköpfe und warfen sie in große Kessel mit siedendem Wasser …
    Nataschas Beine waren bleischwer. Wie es vor den Augen flimmert, dachte sie. Um die Kohlköpfe tanzen sie herum. Fratzen haben sie alle, und die Kopftücher der Frauen glitzern, als scheine die Sonne auf verharschten Schnee … wie merkwürdig das alles ist, ei, wie lustig … wie sie schwanken, die Brüderchen …
    Dann schrie sie, mit heller, zittriger Stimme, und hielt sich den Leib fest und brüllte: »Um Jesu willen, um der Mutter Gottes willen … helft mir! Helft mir!«
    »Da haben wir aber Glück gehabt!« sagte eine Stimme.
    Natascha öffnete die Augen nicht. Sie roch nur, wo sie war. Karbol war es, vermischt mit dem Gestank von Eiter und getrocknetem Blut. Nach Exkrementen stank es, und dazwischen wieder süßlich, wie verwesende Leichen.
    Die Stimme war näher, als sie weitersprach. Ein Kopf beugte sich über Natascha … sie sah es, weil der helle Rahmen vor ihren geschlossenen Lidern sich

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