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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die sie auf ihren zugefrorenen Decken überquerten.
    »Wo willst du eigentlich hin?« fragte Natascha am achten Tage. »Wenn wir weiterziehen, sind wir in einer Woche in Moskau!«
    »Das ist gut«, nickte Luka. »Dann werden wir uns bald ein Plätzchen suchen. Und wenn der Krieg zu Ende ist, gehen wir nach Moskau.«
    »Nach Moskau? Was soll ich in Moskau, Luka?«
    Der Riese grinste. Er kratzte dem Pferdchen ein paar Eisbröckchen von den Augen und kraulte ihm das Fellchen.
    »Es ist wie bei Mütterchen«, sagte er. »Am Herzen ist man am sichersten. Und Moskau ist unser Herzchen –«
    In den undurchdringlichen Wäldern südlich Posdnjakowa , zwischen den Flüssen Oka und Upa , baute Luka ihr Haus. Nördlich von ihnen, etwa 220 Werst entfernt, lag Moskau.
    »So ist's gut«, sagte der Riese. »Man ist schnell dort, wenn sie den Frieden einschießen, und man ist weit genug weg, um einsam zu sein und warten zu können.«
    Vier Wochen lang fällte er Bäume. Eine verteufelte Arbeit war's, die hartgefrorenen Stämme nur mit einer kleinen Axt umzuhauen. Aber für Luka war es mehr als nur eine schweißtreibende Mühe. So ein Krieg kann noch dauern, dachte er. Drei Jahre hält er nun schon an, und wenn's noch einmal drei Jahre sind – die Deutschen sind zäh und haben Übung im Kriegführen – muß man sehen, daß man ein Häuschen zusammenhämmert, das mehr ist als eine Hütte. Was man zum Leben brauchte, würde sich finden … es gab Tiere im Wald, klare Bäche, eßbare Pilze und Früchte und einen kleinen Fluß, in dem man fischen konnte. Seelchen, was wollte man mehr? Und wenn man sonst etwas brauchte … o je, man hatte ja das Pferdchen und brauchte nur ein paar Werst zu reiten, bis zum nächsten staatlichen Magazin. Zudem gab es keine Schlösser, die stark genug waren, Lukas Händen zu widerstehen. Also, Genossen, ist das ein Leben?!
    Nach vier Wochen stand das Holzhaus. Groß war's, wuchtig, wie der ganze Luka selbst, aus dicken Stämmen gefügt, mit einem Dach aus gradgewachsenen, runden Bäumchen. Natascha hatte in diesen vier Wochen fleißig mitgeholfen. Sie flocht aus Zweigen, die Luka bergeweise heranschleppte, dichte Matten, die man über die Dachstämme zog, mit Moos und Erde verschmierte und mit Steinen beschwerte.
    »Ein Palast ist's!« staunte Luka, als das Dach fertig war. Es störte ihn nicht, daß die kleinen Fensteröffnungen ohne Glas waren und der Kamin ein bloßes Loch im Dach, aus dem der Rauch abziehen sollte, wenn kein Wind über dem Wald stand und ihn in die Hütte zurückblies.
    Anschließend an diese Bemerkung weihte er das Haus ein, indem er einen in der Schlinge gefangenen Hasen über dem Feuer briet, ihn fast allein aufaß, sich auf seinen Mantel in eine Ecke legte und schlief. Er schlief zwei Tage, und Natascha stellte daran fest, daß auch ein Urwelttier wie Luka sich erschöpfen konnte und einen normal empfindenden Körper besaß.
    Sieben Wochen ging es gut mit ihnen. Sie jagten und fischten, und als die Schneeschmelze eintrat und die Hasen und Wildkatzen in den Wäldern sprangen, kam Lukas große Zeit, in der er mehr in die Hütte schaffte, als sie essen konnten. Da konstruierte Luka einen Trockenofen. Aus Steinen baute er eine Kammer, erhitzte durch Feuer die Steine, bis sie fast zerbarsten, und in diese glühend heiße Kammern hinein legte er das Fleisch, wo es trocknete und zusammenschrumpfte.
    »Ein Jahr lang hält es sich!« sagte er stolz, als er die ersten harten, wie Mumien aussehenden Fleischstücke aus der Trockenkammer holte. »Für uns ist der Krieg zu Ende, Täubchen –«
    Das war ein Irrtum Lukas, aber niemand wußte es.
    Nicht jeder Sowjetrusse ist ein begeisterter Soldat. Wer glaubt, ein jeder Russe sei ein wilder Kosak und sehne sich nach Schlachten, Pulverdampf, Säbelkampf und Heldentod, der irrt sich sehr. Wie überall, so war's auch in der Sowjetunion. Immer gab es Männer, die lieber im Bett als in einem Granattrichter sterben wollten, und die es lieber hatten, wenn Mascha sich an sie drückte, als wenn sie bis zum Nabel im wassergefüllten Schützengraben stehen mußten.
    So kam es, daß nach dem plötzlichen Vormarsch der Roten Armee viele ehemalige Sowjetsoldaten aus Gefangenenlagern befreit oder in Verstecken von den eigenen Truppen überrollt wurden, wie Luka und Natascha in den Sümpfen des Pripjet. Viele von ihnen taten nicht ihre vaterländische Pflicht, sie meldeten sich nicht sofort, um weiterzumarschieren nach Berlin, o nein, sie besorgten sich

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