Natascha
Lukas Händen wie zwei abgewürgte Gänse.
»Na na«, sagte Luka verblüfft. »So dünn sind ihre Köpfe? Wer hätte das gedacht? Man soll's nicht glauben, wie dünn der Mensch gebaut ist.«
Er ließ die Körper in die flache Grube fallen, die er geschaufelt hatte, nahm ihnen die Pistolen, die Militärpässe, Zigaretten und was sie sonst noch in den Taschen hatten ab und verließ den Garten über die Mauer, die ihn von einem kleinen Nebenfluß der Oka trennte. Diesen Fluß, dessen Wasser ihm bis zur Brust reichte, ging er zwei Werst lang mitten im Flußbett entlang, kletterte dann ans andere Ufer und lief in riesigen Sprüngen ins Land hinein, weg aus der Nähe der Stadt Kaluga.
In einer Scheune versteckte er sich bis zur Nacht. Sicher war's, daß man alles nach ihm absuchte, daß alle Straßen gesperrt waren, alle Wege in die Wälder und zu den Dörfern. Gegen Abend hörte er sogar einen Lautsprecherwagen durch das Land fahren. »Ein gefährlicher Raubmörder ist ausgebrochen!« tönte es aus dem Lautsprecher. »Er ist riesengroß, seit Wochen unrasiert, trägt zerlumpte Kleider. Er hat zwei Pistolen bei sich …«
Dumm sind sie, dachte Luka und streckte sich im Stroh aus. Nun wird ihn keiner suchen. Verkriechen werden sie sich vor Angst, die Bauern, und wenn sie ihm begegnen, werden sie ein heimliches Kreuz schlagen wie vor dem Satan.
Am nächsten Morgen tat Luka etwas, was er sich sehr lange überlegt hatte.
Sie werden immer nach Deserteuren suchen, dachte er. Sie werden's nicht sein lassen, denn wer das Militär nicht liebt, ist kein rechter Bolschewik, und so etwas hat in unserem Land keine Berechtigung, weiterzuatmen. Zugeben muß man, daß sie recht haben, von ihrem Standpunkt aus … aber das Leben ist auch schön ohne Uniform, und Luka hatte keine Lust, Berlin kennenzulernen oder die Feuchtigkeit der pommerschen Erde. Und so, wie's jetzt war, würde man nicht aufhören, ihn zu suchen, aufzustöbern, erschießen zu wollen. Das alles behagte Luka nicht. Sicher war man nur als Invalide, sagte er sich nachdenklich und stützte den Kopf in beide Hände. Ja, das war's. Ein Invalide müßte man sein. Ein kriegsuntauglicher Krüppel. So ein Überbleibsel des Krieges, für das der Staat sorgte mit der gleichen mürrischen Mühe, mit der ein Bauer einen lahmen Gaul pflegt.
Eine ganze Nacht durchdachte Luka dieses große Problem. Am Morgen war er sich klar darüber, daß er Abschied nehmen mußte von der Kraft seiner Beine. Er tat es, indem er noch einmal beim Morgengrauen dreimal um die Scheune lief, schnell, tierhaft, sich vorwärtsschnellend, mit der ganzen Lust, die Erde unter sich zu lassen und zu springen wie ein verfolgter Rehbock.
Dann ging er langsam zurück in die Scheune, weichte ein dickes Stück Brot ein, bis es durch und durch naß und klebrig war, legte es auf ein dickes Brett, das er aus der Scheunenwand riß, und hielt das nasse Brot und das Brett über das linke Bein, etwas unter dem Kniegelenk in Richtung der Wade. Mit der rechten Hand entsicherte er die Pistole des Unteroffiziers und hielt den Lauf ein paar Zentimeter über das nasse Brot.
»Man soll's nicht glauben«, sagte Luka zu sich selbst, »wie schwer es ist, sich etwas anzutun …«
Dann drückte er ab. Der Schuß krachte, die Kugel fuhr durch das nasse Brot, das den Pulverdampf aufsaugte, durchschlug das Brett und raste in sein Bein. Wie ein Schlag mit einem großen Hammer war's. Ihm folgte eine Welle der Taubheit, dann begann das Bein zu zittern, von den Fersen bis zur Hüfte. Er wurde in sich durchgeschüttelt, begann zu frieren und glänzende Punkte tanzten vor seinen Augen. Als er das Bein bewegen wollte, spürte er zwar immer noch keine Schmerzen, aber es war ihm, als hinge es gar nicht mehr an ihm, sondern nur an den umgebenden Muskeln. Ein Sack aus Fleisch und Knochen.
Luka sah auf sein Bein. Es blutete ein wenig, und er drückte den Daumen auf die kleine Einschußstelle. Das Brett und das vom Pulverdampf schwarzgewordene nasse Brot warf er zurück in das Stroh. Dann hob er das Bein an und sah, daß der Knochen zersplittert war.
»Ein Mist ist's!« schrie er. »Das wollte ich nicht!«
Er drehte sich um, brach aus der Scheunenwand ein langes Brett, schiente damit sein zerschmettertes Bein, band es mit Stricken auf dem Brett fest und zog sich an der Wand empor auf sein gesundes Bein. Jetzt kam auch der Schmerz, wahnsinnig, stechend, von den Zehen bis unter die Kopfhaut.
»Du bist ein wirklicher Idiot«, sagte Luka laut zu
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