Natascha
ei! Einen Stall aus Marmor wird's bekommen, fressen wird's gebratene Gänse, und ein Genosse wird extra eingestellt werden, der ihm viermal täglich den Hintern putzt!« Er sah aus dem Fenster und erblickte das struppige Pferd, das vor dem Wägelchen stand. »Wieviel Schönheitspreise hat es schon gewonnen?« fragte er.
»Den Krieg hat's mit gewonnen, du Fehlgeburt!« schrie Luka. »So sehen Helden aus!«
Sie unterhielten sich daraufhin eine Viertelstunde über den Krieg, wobei der Schreibtisch umgeworfen wurde und der Natschalnik um Hilfe schrie. Dann war man sich einig wie Zwillingsbrüder und ging hinaus zu den Ställen, wo Washa Igorowitsch eine Box bereitgestellt hatte. Luka musterte sie genau, bevor er das Pferd holte und hineinführte in die neue Umgebung. Er band es an und lehnte sich dann gegen die Futterkrippe.
»Wir werden uns wiedersehen«, sagte er zu dem Pferdchen. »Bestimmt … Und schön wird es werden, wenn ich wieder laufen kann. Ein halbes Jahr wird es dauern, oder vielleicht auch ein Jahr … dann werden wir wieder zusammen sein, was? Und meine Konzession habe ich auch noch – das wird ein Leben sein.«
Er streichelte dem Pferd über den Hals und die schmächtige Brust, kraulte die harten Haare auf der Stirn, zwischen den Augen, und dann ging er hinaus, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Die ersten Gesangstunden mit Waleri Tumanow waren einfacher, als es sich Natascha vorgestellt hatte.
Sie hatte ein schönes großes Zimmer bekommen in einem Seitenflügel der Akademie. Mit einer Handvoll Bezugscheine konnte sie im staatlichen Warenhaus neue Kleider und Wäsche kaufen … wer es bezahlte, wußte sie nicht. Überall kam man ihr ehrerbietig entgegen, und es fiel ihr auf, daß ihr Leben plötzlich ganz anders geworden war, als es eigentlich nach den Prinzipien des Sozialismus sein sollte. Man hatte mit der Oktoberrevolution die Klassen abgeschafft, die Bourgeoisie vernichtet, aus allen Russenmenschen gleichberechtigte Genossen gemacht … was sie jetzt sah, war eine Klassifizierung, von der sie in der Komsomolzen-Schule von Tatarssk nie etwas gehört hatte. Sogar der Direktor des Warenhauses machte eine kleine Verbeugung, als sie mit Tumanow einkaufte, und die Schüler der Akademie sahen sie an, als sei sie ein Stern, der die russische Nacht, einer neuen Sonne gleich, erhellte.
Zuerst lernte sie Noten und ein klares Nachsingen von Tönen, die Tumanow auf dem Flügel im Probensaal anschlug. Dann erklärte er ihr, wie ein Sänger atmet und wie er diesen Atem ausnutzt.
»Mit der Lunge lebst du, aber mit dem Zwerchfell singst du!« sagte er. »Und auch im Kopf ist Luft … ein guter Ton kommt nicht aus der Brust, sondern aus dem Schädel!«
Sie übten die Atemstütze, das Haushalten mit dem Atem, das An- und Abschwellen eines Tones mit einem Atem, was der Italiener die ›messa di voce ‹ nennt, jenen zauberhaften Schöngesang, der die Stimmbänder klingen läßt wie die Saite eines Cellos.
Waleri Tumanow saß bei diesen Übungen am Flügel und schloß ab und zu die Augen, legte den Kopf zurück oder legte ihn auf die Brust. Wie muß es in zwei oder drei Jahren klingen, dachte er, und etwas wie Ergriffenheit vor dem Wunder in einem Menschen füllte ihn völlig aus. Mein Gott, was wird die Welt einmal sagen, wenn sie diesen Gesang hört?! Nichts wird sie sagen, weil es keine Worte geben wird, die das beschreiben könnten, was man fühlt unter dieser Stimme. Und eine Russin wird es sein … zum erstenmal wird der Einbruch in die feste Front der Italienerinnen, Deutschen, Französinnen und Amerikanerinnen möglich sein. Eine Primadonna assoluta aus der Kolchose von Tatarssk!
Waleri Tumanow hütete sich, Natascha zu überanstrengen. Nur zwei Stunden am Tage übten sie intensiv. Die übrige Zeit machten sie Theorie, gingen spazieren, fuhren in die Umgebung Moskaus oder besuchten abends die Vorstellungen der Theater.
Natascha fügte sich. Sie schrieb Notendiktate und zeigte auf einer großen Tafel die Noten an, die Tumanow auf dem Flügel spielte. Dann sang sie sie nach, immer und immer wieder, bis sie nachts aus dem Schlaf aufschreckte und ans Fenster rannte, es aufriß und den Kopf in die Nachtluft steckte, weil das Zimmer voller einzelner Töne war, die auf sie niederstürzten wie faustgroße Hagelkörner.
Anders war es bei Luka, wie konnte es auch sein?
Sein Einzug ins Lazarett glich der Überführung eines Fossils in ein Museum. Der Chefarzt, die Oberärzte und sogar die dienstfreien
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