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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Stationsärzte standen in dem großen Aufnahmezimmer, als Luka in das Krankenhaus gefahren wurde.
    Es war schon eine Not gewesen, Luka in den Krankenwagen zu bringen und ihn sich auf die Bahre legen zu lassen.
    »Jetzt bist du Patient, Genosse!« sagte der Sanitäter, als er die Bahre abstellte. »Von jetzt ab bestimmt das Laufen der Chefarzt! Und er hat gesagt: Liegend transportfähig! Also mußt du liegen, Genosse!«
    »Eine Miststadt ist das!« brüllte Luka und gab der Trage einen Tritt. »Zum Koffertragen braucht man eine Konzession, rasieren muß man sich dafür, das Pferdchen darf nicht fressen, wo es will … und nun muß ich liegen! Ist das eine Freiheit, Genossen? Haben wir darum die Oktoberrevolution gehabt, he?!«
    »Hinlegen!« kommandierte der Sanitäter. Er nahm die beiden Baumstammkrücken Lukas und warf sie in den Flur des Hauses. »Was ein Befehl ist, weißt du. Man kann nichts dagegen machen … also sei vernünftig, Genosse, und leg dich hin.«
    Es zeigte sich, daß die Trage zu schmal und klein war, um Luka aufzunehmen. Auch war es unmöglich, mit zwei Sanitätern diesen Fleischberg wegzutragen.
    »In dem Befehl heißt es nicht, daß wir uns einen Bruch heben, Freund«, sagte der Sanitäter und winkte zu Luka hinab. »Los, steh auf, geh hinunter zum Wagen und leg dich dort auf die Pritsche. Wie's auch sei … ich muß dich liegend abliefern.«
    Fluchend humpelte Luka die Treppe hinunter und legte sich in den Sanitätswagen. Aus allen Fenstern der Tusstunkaja starrten die Menschen auf ihn hinab. Sie warteten, was weiter geschah, denn kaum, daß Luka in dem Wagen ausgestreckt lag, erwies es sich, daß der Wagen zu kurz war, und Lukas Füße aus der Rücktür herausragten.
    Das neue Problem war unlösbar. Die Sanitäter sahen es ein. Das Bein anziehen konnte Luka nicht … eben, um es anziehen zu können, kam er ja ins Lazarett. Sinnend standen sie vor der offenen Tür des Sanitätswagens und berieten sich.
    Schließlich einigte man sich, klappte die Tür bis zu den Füßen zu, band die Tür mit den Griffen an Lukas herausragenden Beinen fest und fuhr ab. Die Leute auf den Straßen, durch die man fuhr, sahen verblüfft auf den Wagen, dann nahmen sie ehrfürchtig die Mützen ab und senkten den Kopf. Ein Toter ist's, dachten sie. Und beim schnellen Fahren ist er nach hinten gerutscht und hat die Tür aufgestoßen.
    In der Aufnahme des Krankenhauses kam Luka eine Welle weißer Kittel entgegen. Tumanow hatte ihn angemeldet mit den Worten: »Es wird jemand kommen, der alle anatomischen Studien über den Haufen wirft, Genossen! Es ist, als sei er in der Eiszeit eingefroren und jetzt wieder aufgetaut worden –«
    In einem Krankensaal mit zwanzig anderen Patienten hatte man vorsorglich ein Spezialbett aufstellen lassen. Ein Schreiner hatte es gezimmert, und praktisch war's ein Doppelbett, nicht nur in der Breite, sondern auch in der Länge. »Man hätte ihn ja auf die Erde legen können, da ist Platz genug!« hatte der Chefarzt gesagt. »Aber er genießt die Protektion des Kreml!«
    Nun war Luka da, lag auf dem OP-Tisch, nackt und behaart wie ein Riesenaffe, und sah mißtrauisch zu, wie die Ärzte an seinem Bein herumkneteten, drückten, die Zehen bewegten, maßen und ihn aufforderten, den Fuß zu bewegen, was er nicht konnte, weil er ja gelähmt war.
    Dann wurde er geröntgt, unter eine weiße Apparatur geschoben, die kurz schnurrte und seinen zerschossenen Knochen auf eine große, schwarze, biegsame Platte zauberte. Der Chefarzt hielt sie gegen einen Leuchtkasten und seine Oberärzte zeigten mit spitzen Bleistiften auf zersplitterte und verschwommene Flecken, sprachen einige lateinische Worte und malten mit Fettstiften Kreise und Winkel auf die schwarze Röntgenplatte.
    »Kriegt ihr es wieder hin, Genossen?« rief Luka.
    »Es wird nicht leicht sein«, antwortete einer der Ärzte. »Sie sind zu spät gekommen. Wir müssen das Bein wieder brechen und strecken, und ob wir die Nervennähte hinbekommen, das wird sich erst zeigen –«
    »Und wie lang wird's dauern?«
    »Bestimmt ein halbes Jahr –«
    Luka nickte und legte den Kopf zurück auf die Kopfrolle des Untersuchungstisches. Das Pferdchen war versorgt, Natascha ging es gut, und auch für ihn war das halbe Jahr eine erfreuliche Zeit. Zu essen gab's, und ein Bett hatte man, faulenzen konnte man und sich unterhalten mit den Zimmergenossen, und alles umsonst! Freunde, so etwas nennt man herrlich, nicht wahr?
    »Laßt euch Zeit, Genossen!« sagte Luka.

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