Nathan der Weise
Prinzessin! Nenn
Mich Sittah, - deine Freundin, - deine Schwester.
Nenn mich dein Mütterchen! - Ich könnte das
Ja schier auch sein. - So jung! so klug! so fromm!
Was du nicht alles weißt! nicht alles mußt
Gelesen
haben!
RECHA.
Ich gelesen? - Sittah,
Du spottest deiner kleinen albern Schwester.
Ich kann kaum lesen.
SITTAH.
Kannst kaum, Lügnerin!
RECHA.
Ein wenig meines Vaters Hand! - Ich meinte,
Du sprächst von Büchern.
SITTAH.
Allerdings! von Büchern.
RECHA.
Nun, Bücher wird mir wahrlich schwer zu lesen! -
SITTAH. Im
Ernst?
RECHA. In
ganzem
Ernst. Mein Vater liebt
Die kalte Buchgelehrsamkeit, die sich
Mit toten Zeichen ins Gehirn nur drückt,
Zu
wenig.
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SITTAH.
Ei, was sagst du! - Hat indes
Wohl nicht sehr unrecht! - Und so manches, was
Du
weißt
…?
RECHA.
Weiß ich allein aus seinem Munde
Und könnte bei dem meisten dir noch sagen,
Wie? wo? warum? er mich’s gelehrt.
SITTAH. So
hängt
Sich freilich alles besser an. So lernt
Mit eins die ganze Seele.
RECHA. Sicher
hat
Auch Sittah wenig oder nichts gelesen!
SITTAH.
Wieso? - Ich bin nicht stolz aufs Gegenteil. -
Allein wieso? Dein Grund! Sprich dreist. Dein Grund?
RECHA.
Sie ist so schlecht und recht; so unverkünstelt;
So ganz sich selbst nur ähnlich …
SITTAH. Nun?
RECHA. Das
sollen
Die Bücher uns nur selten lassen! sagt
Mein
Vater.
SITTAH.
O was ist dein Vater für
Ein
Mann!
RECHA. Nicht
wahr?
SITTAH.
Wie nah er immer doch
Zum
Ziele
trifft!
RECHA.
Nicht wahr? - Und diesen Vater -
SITTAH.
Was ist dir, Liebe?
RECHA. Diesen
Vater
-
SITTAH. Gott!
Du
weinst?
RECHA.
Und diesen Vater - Ah! es muß
Heraus! Mein Herz will Luft, will Luft …
(Wirft sich, von Tränen überwältiget, zu ihren Füßen.) SITTAH. Kind,
was
Geschieht dir? Recha?
RECHA.
Diesen Vater soll -
Soll ich verlieren!
SITTAH.
Du? verlieren? ihn?
Wie das? - Sei ruhig! - Nimmermehr! - Steh auf!
RECHA.
Du sollst vergebens dich zu meiner Freundin,
Zu meiner Schwester nicht erboten haben!
SITTAH.
Ich bin’s ja! bin’s! - Steh doch nur auf! Ich muß
Sonst
Hilfe
rufen.
RECHA.
(die sich ermannt und aufsteht)
Ah! verzeih! vergib! -
Mein Schmerz hat mich vergessen machen, wer
Du bist. Vor Sittah gilt kein Winseln, kein
Verzweifeln.
Kalte, ruhige Vernunft
Will alles über sie allein vermögen.
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Wes Sache diese bei ihr führt, der siegt!
SITTAH. Nun
dann?
RECHA.
Nein; meine Freundin, meine Schwester
Gibt das nicht zu! Gibt nimmer zu, daß mir
Ein andrer Vater aufgedrungen werde!
SITTAH.
Ein andrer Vater? aufgedrungen? dir?
Wer kann das? kann das auch nur wollen, Liebe?
RECHA.
Wer? Meine gute böse Daja kann
Das wollen, - will das können. - Ja; du kennst
Wohl diese gute böse Daja nicht?
Nun, Gott vergeb’ es ihr! - belohn’ es ihr!
Sie hat mir so viel Gutes, - so viel Böses
Erwiesen!
SITTAH.
Böses dir? - So muß sie Gutes
Doch wahrlich wenig haben.
RECHA.
Doch! recht viel,
Recht
viel!
SITTAH. Wer
ist
sie?
RECHA.
Eine Christin, die
In meiner Kindheit mich gepflegt; mich so
Gepflegt! - Du glaubst nicht! - Die mir eine Mutter
So wenig missen lassen! - Gott vergelt’
Es ihr! - Die aber mich auch so geängstet!
Mich so gequält!
SITTAH.
Und über was? warum?
Wie?
RECHA.
Ach! die arme Frau - ich sag dir’s ja -
Ist eine Christin; - muß aus Liebe quälen; -
Ist eine von den Schwärmerinnen, die
Den allgemeinen, einzig wahren Weg
Nach Gott zu wissen wähnen!
SITTAH. Nun
versteh
ich!
RECHA.
Und sich gedrungen fühlen, einen jeden,
Der dieses Wegs verfehlt, darauf zu lenken. -
Kaum können sie auch anders. Denn ist’s wahr,
Daß dieser Weg allein nur richtig führt:
Wie sollen sie gelassen ihre Freunde
Auf einem andern wandeln sehn, - der ins
Verderben stürzt, ins ewige Verderben?
Es müßte möglich sein, denselben Menschen
Zur selben Zeit zu lieben und zu hassen. -
Auch ist’s das nicht, was endlich laute Klagen
Mich über sie zu führen zwingt. Ihr Seufzen,
Ihr Warnen, ihr Gebet, ihr Drohen hätt’
Ich gern noch länger ausgehalten; gern!
Es brachte mich doch immer auf Gedanken,
Die gut und nützlich. Und wem schmeichelt’s doch
Im Grunde nicht, sich gar so wert und teuer,
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Von wem’s auch sei, gehalten fühlen, daß
Er den Gedanken nicht ertragen kann,
Er müss’ einmal auf ewig uns entbehren!
SITTAH. Sehr
wahr!
RECHA.
Allein - allein - das geht
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