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Nathanael

Titel: Nathanael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Landers
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besaß er nicht. Außerdem befremdete es sie, wie gelassen er am Kiosk gestanden und sich eine Zeitung gekauft hatte, noch dazu in einer Gegend, die er immer gemieden hatte.
    Sie kam zu dem Schluss, dass Steven schon viel eher zurückgekehrt oder erst gar nicht in Europa gewesen war. Obwohl sie sich getrennt hatten, erschütterte es sie dennoch, mit welcher Kaltblütigkeit er sich ungeniert durch New York bewegte. Er musste sich sehr sicher vor ihr fühlen. So ein Mistkerl.
    Die Hintertür zur Bar war abgeschlossen.
    «Cyn ist mal wieder unterwegs.»
    Nathanael zückte seinen Schlüssel und steckte ihn ins Schloss. Tessas Puls beschleunigte sich plötzlich bei dem Gedanken, dass sie mit ihm allein sein würde.
    Schweigend betraten sie die Bar, in der noch der Geruch des Alkohols und Tabaks der gestrigen Nacht schwebte. Nathanael verschwand wortlos durch die Doppelflügeltür in die Küche.
    «Kann einen Moment dauern.»
    Sie nickte und setzte sich auf einen der Stühle am Tresen. Ihr rechter Ellbogen schmerzte höllisch, aber er schien nicht gebrochen zu sein, denn sie konnte ihn bewegen. Sie griff über die Theke nach dem Behälter mit dem Eis, öffnete den Deckel und entnahm ein paar Stücke, um die schmerzende Stelle zu kühlen.
    Ein kurzes Vibrieren in der Tasche signalisierte ihr den Eingang einer SMS auf dem Handy. Sie schüttete das Eis vom Arm in ein leeres Glas. Die Nummer im Display war ihr fremd und sie wählte die Rückruftaste. Nach wenigen Freizeichen meldete sich Mrs Dwain, eine engagierte Helferin aus Ernests Gemeinde. Tessa hielt sich am Rand der Bar fest. Hoffentlich war Ernest nichts geschehen. Noch eine Hiobsbotschaft konnte sie heute nervlich nicht ertragen.
    «Ms McNaught, sind Sie das?»
    «Ja. Ist was mit meinem Bruder?»
    «Nein, nein, keine Sorge. Er bat mich, Ihnen eine Nachricht zukommen zu lassen. Er ist nämlich bei der Begrüßung im Medical Center …»
    «Im Medical Center?»
    Was mochte Ernest dort wollen? Die Zweifel kehrten schlagartig zurück.
    «Zur Einführungsfeier von Schwester Carole. Schwester Berthas Therapie-Nachfolgerin. Sie wissen doch vom Tod von Schwester Bertha?»
    Mrs Dwain lispelte stark und sprach so schnell, dass Tessa Mühe hatte, ihr zu folgen.
    «Ja, natürlich.» Tessa merkte auf. «Was denn für Therapien?»
    «Schmerztherapien für Migränepatienten.»
    «Meinen Sie etwa das Medical Center für Palliative Care drüben in Brooklyn?», unterbrach Tessa sie, während sich ihre Hand ums Handy krampfte. Ihre Kehle war trocken und eng.
    «Ja, genau. Eine gute Sache.»
    Mrs Dwain redete weiter, aber Tessa hörte ihr nicht zu. Ihre Gedanken drehten sich nur um das Medical Center.
    Weshalb hatte Ernest nie erwähnt, dass Schwester Bertha dort tätig gewesen war? Andererseits hatte sie ihn ja auch nie danach gefragt.
    «Ms McNaught? Sind Sie noch dran?» Die laute Stimme riss Tessa aus ihren Grübeleien.
    «Ja, ja, ich bin noch dran.»
    «Ich soll Ihnen noch ausrichten, dass Ihr Freund Mr Greenberg früher zurückkommt.»
    Hatte Steven sie vielleicht vorhin gesehen und betrieb Schadensbegrenzung? So musste es sein. Was für ein verlogener Kerl.
    «Hallo? Ms McNaught? Hallo?», drang Mrs Dwains Stimme aus der Ferne zu ihr.
    Tessas Arm sank herab, während sie ausdruckslos vor sich hinstarrte. In ihrem Innern tobte ein Sturm aus Wut. Tausend Fragen schossen ihr durch den Kopf.
    Weshalb war Steven nicht nach Europa geflogen? Was hatte er hier in der Zwischenzeit gemacht? War er in ihrer Wohnung gewesen und hatte das Chaos angerichtet?
    Über ihre Grübeleien vergaß sie Mrs Dwain und erinnerte sich ihrer erst wieder, als sie ein Klicken in der Leitung hörte. Als Tessa den Kopf hob, stand Nathanael neben der Theke und musterte sie mit besorgter Miene. «Schlechte Nachrichten?»
    «Nein. Nichts Weltbewegendes. Jetzt lass mich lieber nach deiner Wunde sehen.»
    «Kann es sein, dass du mich leiden sehen willst?»
    Lächelnd hielt er den Erste-Hilfe-Koffer hoch.
    «Wie kommst du nur darauf? Natürlich nicht. Setz dich», antwortete sie.
    «Lass uns lieber nach oben gehen.»
    Tessa war froh, dass das Versorgen von Nathanaels Wunde sie eine Weile von ihren Gedanken ablenkte. Vorsichtig schnitt sie den Ärmel seines Pullovers ab. Der Heilungsprozess hatte bereits begonnen und die Wunde sah nicht mehr ganz so schlimm aus.
    Die trockene, verbrannte Haut ließ sich bereits gut mit der Pinzette entfernen. Darunter schimmerte rosige Haut. Nathanael beobachtete jeden ihrer

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