Nathanael
und die Hauswand hochgeklettert war. Was wollte er hier noch?
Im selben Augenblick verschwand er, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Tessa spähte zum Fenster hinaus und suchte nach ihm. Sie erschrak, als sie unerwartet in rot glühende Augen blickte.
Sie gehörten einem Mann, der nur wenige Schritte vom Wagen entfernt stand. Niemand besaß solche Augen. Nur der Mann, mit dem sie auf den Stufen der U-Bahn zusammengeprallt war. Das waren auch keine Kontaktlinsen. Linsen leuchteten nicht. Das konnte kein Zufall mehr sein.
Ihr Verstand suchte nach einer plausiblen Erklärung, aber ihr fiel keine ein.
Die Hände lässig in die Hüften gestützt schlenderte er auf sie zu. Jede seiner geschmeidigen Bewegungen strahlte Gefahr aus, wie bei einer Raubkatze, die sich an sein Opfer heranpirschte. Tessa presste sich tiefer ins Polster.
Verdammt, wo blieb denn nur Steven? Sie sah in den Rückspiegel, aber immer noch keine Spur von ihm.
Tessa überlegte, ob sie aussteigen oder einfach ruhig sitzen bleiben und ihn ignorieren sollte. Als es in seinen Augen aufblitzte, dachte sie nur noch an Flucht. Draußen würde Steven oder einer der Rettungskräfte sie schreien hören und ihr zu Hilfe eilen. Sie wollte aussteigen und zog am Türgriff. Im selben Augenblick versanken die Verriegelungsknöpfe mit einem Klacken in den Türen. Tessa zog mit aller Kraft am Türgriff, aber es rührte sich nichts.
Hastig lehnte sie sich über den Fahrersitz, um auf der anderen Seite ihr Glück zu versuchen. Doch auch diese Tür ließ sich nicht öffnen.
Weil der Autoschlüssel nicht im Zündschloss steckte, konnte sie auch nicht die Fenster herunterfahren, durch die sie hätte nach draußen klettern können. Sie hasste es, eingesperrt zu sein, weil sie dann keine Luft mehr bekam. Diese vollelektronischen Wagen hatte sie noch nie leiden können.
Der Mann mit den roten Augen näherte sich dem Ferrari. Seine finstere Miene machte ihr Angst, und als er fauchte, stemmte Tessa sich gegen die Tür, um sie aufzudrücken. Sie fluchte, weil Steven die Alarmanlage ausgestellt hatte, die ihn durch ihr lautes Hupen alarmiert hätte.
Es war wie verhext, die verdammten Türen ließen sich nicht öffnen. Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Besaß der Kerl etwa übernatürliche Fähigkeiten, die es ihm ermöglichten, die Türen zu verriegeln? An solch einen Hokuspokus glaubte sie nicht. Eigentlich. Männer liefen aber eigentlich auch keine Häuserfassade hoch.
Sie geriet in Panik, trommelte mit den Fäusten gegen die Scheiben und riss an den Türen. Dabei schrie sie aus Leibeskräften nach Steven. Aber alle Versuche blieben erfolglos.
Tessa schluckte, denn der Fremde stand jetzt direkt vor ihrem Fenster. Beim Anblick seines fratzenhaften Lächelns packte sie Entsetzen. Gier lag in seinen Augen. Hatte er Hazel umgebracht und sie sollte ihr folgen?
Tessa zitterte vor Furcht. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sie saß in der Falle und musste irgendwie raus. Wenn ihr doch nur etwas einfiele.
Langsam umkreiste der unheimliche Mann den Ferrari wie seine Beute. Unerwartet sprang er vor und klatschte mit den Händen an die Scheibe. Tessa warf sich erschrocken auf den Fahrersitz und hielt die Hände schützend über den Kopf. So wie damals, als die Schüsse krachten.
Stille.
Tessa wagte nicht sich aufzurichten. Zitternd hing sie über der Gangschaltung, die sich schmerzhaft in ihren Bauch drückte. Warum öffnete er nicht die Türen und zerrte sie heraus?
Weil er dir Angst einjagen will. Es ist für ihn wie ein Spiel.
Als nichts geschah, hob sie nach einer Weile langsam den Kopf. Der Fremde war tatsächlich nicht zu sehen, nur die Abdrücke seiner Finger prangten an der Fensterscheibe.
Erleichtert setzte sie sich auf. Ihr Brustkorb hob und senkte sich im schnellen Rhythmus. So war es auch gewesen, als sie sich damals im Supermarkt vor den Räubern hinter dem Tresen versteckt hatte. Dem Tod so nah zu sein, aber nicht zu wissen, wann er sie ereilte, war das Schlimmste gewesen.
Vorsichtig streckte sie die Hand aus und zog am Türgriff. Zu ihrem Erstaunen ließ sie sich öffnen. Sie wollte gerade aussteigen, als er auf die Motorhaube sprang. Wie gelähmt starrte sie ihn an. Er lächelte siegesgewiss und spitzte die Lippen zu einem Kuss.
Gleich würde er sich auf sie stürzen. Jemand, der Häuserwände emporkletterte, besaß mit Sicherheit körperliche Kräfte, gegen die sie nichts auszurichten vermochte. Eine Flucht erschien ihr aussichtslos.
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