Nathanael
Hand über ihr Haar strich und er beruhigend auf sie einredete. Tessa wurde von Schluchzern geschüttelt.
Wäre sie eher zu Hazel gefahren, hätte sie sie vielleicht retten können.
«Warum bin ich nur zu spät gekommen?», flüsterte sie.
«Quäle dich nicht.» Steven küsste sie aufs Haar. «Sie scheint ihren Selbstmord schon lange geplant zu haben. Die Polizei hat oben in ihrer Wohnung eine Art Abschiedsbrief gefunden. Wenn sie es heute nicht geschafft hätte, hätte sie es wieder versucht. Du konntest es nicht verhindern.»
Sie wand sich aus seinen Armen und sah ihn an.
«Nein! Wie kannst du so was behaupten? Hazel hat sich nicht umgebracht.»
Sie kannte ihre beste Freundin gut genug, um zu wissen, dass sie das nie getan hätte. Hazel war eine lebensbejahende, starke Frau mit Zukunftsplänen. Jemand wie sie brachte sich doch nicht um. Wenn sie ein Problem gehabt hätte, wäre sie zu ihr gekommen, so wie immer.
«In ihrem Abschiedsbrief stand, dass sie die Scheidung von Simon nicht verkraftet hat und ihn noch immer liebt», wandte Steven ein.
Stevens Worte empörten sie. «Ein Abschiedsbrief? Das ist doch Blödsinn! Das hat Hazel nie geschrieben. Hör auf damit!», rief sie und begann von Neuem zu weinen.
«Bitte, Tessa, reg dich nicht auf. Lass uns in Ruhe darüber reden, wenn du den Schock überwunden hast. Der Arzt wird dich im Krankenhaus untersuchen.»
Sie fühlte sich erschöpft und besaß keine Kraft mehr, ihm etwas entgegenzusetzen. Aber von einem war sie überzeugt: Hazel hatte sich nicht das Leben genommen.
«Ich will nicht ins Krankenhaus, Steven.» Flehend sah sie ihn an.
Anstelle einer Antwort hob er fragend die Brauen.
«Bitte, ich fühle mich nur benommen und will nach Hause. Kannst du den Arzt holen?»
«Ich werde mit ihm sprechen. Mal sehen, ob er zustimmt.» Das war die Antwort, auf die sie gehofft hatte.
«Danke.» Sie küsste ihn auf den Mund.
«Ich bin gleich wieder zurück.» Steven stand auf und verließ den Krankenwagen.
Tessa sank auf die Trage zurück und zog die Manschette des Messgerätes vom Arm. Ihr Kopf war leer und ihre Augen brannten.
Sie konnte nicht mehr denken, nicht mehr fühlen.
Nach einer Weile kehrte Steven zurück.
«Der Arzt wollte darauf bestehen, dich ins Medical Center zu bringen. Ich habe die ganze Zeit auf ihn eingeredet, bis er nachgegeben hat, unter der Bedingung, dass du dich morgen von einem Arzt untersuchen lässt.»
«Danke.» Sie drückte seine Hand.
«Komm, ich bringe dich zu meinem Wagen.»
Tessa war froh, dass Steven sie in sein Penthouse bringen wollte. Sie konnte jetzt nicht allein sein und brauchte ihn.
Hazel war tot. Tessas Tränen waren versiegt, nur der dumpfe Druck in ihrer Brust blieb. Sie war froh, dass der Krankenwagen nicht im Innenhof, sondern an der Straße parkte. Hazels Leiche noch einmal sehen zu müssen, hätte ihre Kräfte überstiegen.
Steven legte schützend seinen Arm um ihre Schultern und führte sie langsam zu seinem Wagen. Er öffnete die Tür des Ferraris und Tessa sank auf das weiche Lederpolster. Bevor Steven einsteigen konnte, rief jemand seinen Namen. Er beugte sich zu ihr herab.
«Darling, der Arzt ruft mich. Keine Ahnung, was er noch will. Kann ich dich allein lassen? Es dauert bestimmt nur einen Moment.»
«Ja, natürlich.»
Die Wagentür fiel ins Schloss. Tessa sah im Rückspiegel, wie Steven auf den Arzt zuging und mit ihm hinter dem Krankenwagen verschwand.
Sie kuschelte sich in den Sitz und sah durchs Fenster zum sternenklaren Himmel auf. Schritte näherten sich. Eine Frau führte ihren Hund Gassi und verschwand hinter der nächsten Hausecke.
Die Geschäfte waren bereits geschlossen, für eine Weltmetropole sehr ungewöhnlich. Sie führte es auf die hohe Kriminalität zurück, und doch lag hier noch etwas anderes in der Luft, eine Finsternis, die sie schaudern ließ.
Fröstelnd zog sie den Mantel enger. Sie gähnte und schon klappten ihr die Lider wieder zu.
Das sanfte Geräusch schlagender Flügel ließ sie auffahren. Sie spähte aus dem Fenster. Als nichts zu sehen war, zuckte sie mit den Achseln und lehnte sich langsam wieder zurück.
Unter halb geöffneten Lidern fiel ihr Blick auf einen Mann, der auf der anderen Straßenseite unter dem beleuchteten Reklameschild einer Wäscherei stand. Sie war sich sicher, dass er vor einigen Sekunden noch nicht dort gestanden hatte. Seine schmächtige Gestalt erinnerte sie an jemanden.
Natürlich! Der Spinnenmann, der auf das Garagendach gesprungen
Weitere Kostenlose Bücher