Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nathanael

Titel: Nathanael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Landers
Vom Netzwerk:
die Hauswand und beobachtete ihn. Mit einem mächtigen Satz sprang er auf das Holzdach der beiden offenen Garagen, die die Lücke zum Nachbarhaus füllten, als wäre es eine leichte Übung. Dabei war er nicht einmal übermäßig muskulös, sondern eher schmächtig.
    Tessa glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Er lief quer über das Dach, das nahtlos ans Haus anschloss, und kletterte wie ein Insekt an der Mauer empor.
    Unmöglich! Das gab es nicht.
    Er bewegte sich mit einer Schnelligkeit und Geschmeidigkeit, die Spiderman Konkurrenz machte. Fast hätte sie aufgeschrien.
    Sie schloss die Augen und zwang sich, langsam ein- und auszuatmen.
    Als sie die Augen wieder öffnete, war er verschwunden. Langsam löste sie sich von der Hausmauer und lief auf Zehenspitzen weiter. Dann blieb sie stehen und ließ den Blick schweifen, um sich zu vergewissern, ob er noch in der Nähe war.
    Sie erstarrte, als sie an der Kante des Daches die Silhouette einer Frau mit ausgebreiteten Armen erkannte.
    «Oh, mein Gott.» Tessa schlug die Hand vor den Mund. Sekundenlang erhellte die Leuchtreklame an der Wand des dahinterliegenden Hochhauses das Dach. Die schmale Figur, das helle Haar … das war Hazel – und sie wollte springen. Niemals! Nicht ihre Freundin.
    «Hazel!», schrie Tessa. Ihre Stimme überschlug sich vor Angst. «Hazel! Nein!»
    Aber ihre Freundin hörte sie nicht.
    Sie musste sie davon abhalten.
    Tessa rannte zur Haustür zurück und fuhr mit den Fingern über alle Klingelknöpfe. Irgendjemand musste ihr öffnen. Das Herz raste ihr in der Brust.
    Ein Hund bellte im Haus, jemand schimpfte. Fenster öffneten sich. Jemand grölte «Hau ab!», ein anderer «Bist du durchgeknallt, Alte?».
    «Verdammt, macht doch endlich auf!», rief sie unter Tränen.
    Da ertönte endlich der Summer. Tessa drückte die Tür auf, als sie hinter sich einen scharfen Luftzug spürte und eine Bewegung wahrnahm. Als etwas dumpf auf den Boden schlug, wirbelte sie herum und schrie auf.
    Nur wenige Schritte von ihr entfernt lag Hazel wie eine verrenkte Gliederpuppe inmitten einer Blutlache. Ihre Augen starrten leblos nach oben.
    Tot, tot , hämmerte es in ihrem Kopf. Alles begann sich um sie zu drehen. Unaufhörlich rollten die Tränen über ihr Gesicht, während sie immer wieder den Namen ihrer Freundin stammelte.
    Aufgeregte Stimmen näherten sich. Jemand schubste sie beiseite. Tessa stolperte auf die Leiche zu, als ihr plötzlich schwarz vor Augen wurde und sie zu Boden stürzte.

5.
    Der gleichmäßige Piepton nervte und dröhnte in ihrem Kopf.
    Ihre Lider waren schwer wie Blei. Nur mühsam schlug Tessa die Augen auf. Grelles Licht blendete sie und zwang sie zu blinzeln. Es dauerte einen Moment, bis sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatte.
    Der Piepton stammte von einem kastenförmigen Gerät direkt neben ihr, mit dem sie über ein Kabel am Arm verbunden war. Ein grüner Punkt hüpfte auf einer Skala. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass das Gerät ihren Puls aufzeichnete.
    Sie lag in einem Ambulanzwagen auf der Trage. Steven saß mit besorgter Miene neben ihr und hielt ihre Hand.
    «Gott sei Dank, du bist wach.» Er presste seine Lippen auf ihren Handrücken. «Darling, wie geht es dir?»
    Sie entzog ihm ihre Hand und legte sie an seine Wange. Es fühlte sich so gut an, glatt und vertraut. Seine Nähe besaß etwas Beruhigendes und Tröstendes zugleich.
    «Ich … weiß nicht genau.» Sie rang sich ein Lächeln ab. «Ich habe schreckliche Kopfschmerzen.» Ihre Stimme klang wie ein Krächzen.
    «Du warst ohnmächtig und stehst noch unter Schock.»
    «Was ist geschehen?» Krampfhaft versuchte sie sich zu erinnern, aber es gelang ihr nicht, den dichten Nebel in ihrem Kopf zu vertreiben.
    Steven zögerte mit der Antwort, als fiele sie ihm schwer.
    «Was ist?» Forschend blickte sie ihn an.
    Er fuhr sich mit der Hand durch sein dichtes, blondes Haar und seufzte, aber er schwieg noch immer.
    Draußen hörte sie aufgeregte Stimmen. Jemand rannte am Krankenwagen vorbei. Sie sah aus dem Fenster und erstarrte.
    Hazels Wohnblock.
    Die Erinnerungen kehrten schlagartig zurück. Hazel war vom Dach des Hauses gesprungen, und sie hatte es nicht verhindern können.
    Die Trauer um ihre Freundin schnürte ihr die Kehle zu. Tränen schossen ihr in die Augen. Sie setzte sich auf und versuchte, um den riesigen Kloß in ihrer Kehle herum zu atmen.
    Steven zog sie in die Arme und drückte ihren Kopf an seine Brust. Sanft wiegte er sie hin und her, während seine

Weitere Kostenlose Bücher