Nathanael
Regeneration. Gleich würde die Taubheit in Kopf und Körper ganz gewichen sein, und er könnte die Jagd erneut aufnehmen.
Tessa! Nathanaels Blick schweifte hektisch über das Parkdeck. Er rannte bis zur Ausfahrt, aber von dem dunklen Ford gab es keine Spur. Wie lange mochte er hier gelegen haben?
Er sah auf seine Uhr, dessen Glas zersplittert war. Die Zeiger waren stehen geblieben. Aber er konnte nicht lange ohne Bewusstsein gewesen sein, denn die Spuren des Dämons waren noch frisch. Sicher verfolgte er Tessa.
Aufgebrachte Stimmen, die den Besitzern der demolierten Autos gehörten, schallten über das Deck. Eine Polizeisirene näherte sich, Türen knallten und eine Frau stieß einen entsetzten Schrei aus. Heute schien sich alles gegen ihn verschworen zu haben, denn laute Geräusche und Stimmen verwischten die Spuren des Dämons. Dämonenstaub verflüchtigte sich selbst bei leichtem Luftzug.
Er stöhnte innerlich auf, denn es blieb ihm jetzt nur die Möglichkeit, in die Gedanken dieser Kreatur einzudringen, um zu erfahren, wohin sie gefahren waren. Nicht nur, dass es ihm schwerfiel, sich bei den Hintergrundgeräuschen zu konzentrieren, der Dämon wehrte sich auch mit aller Macht gegen den geistigen Eindringling.
Kostbare Minuten verstrichen, die seine Ungeduld und auch seine Furcht um Tessa wachsen ließen. Nathanael biss die Zähne zusammen. Es war seine letzte Chance, um sie zu retten. Doch alles, was die Augen des Dämons ihm offenbarten, waren bunte, ungeordnete Farbkleckse, die sich nur zäh zu einem Gesamtbild fügten.
«Komm schon, verrat mir endlich dein Geheimnis», presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus.
Tatsächlich flackerten Bilder vor ihm auf, in schnellen Sequenzen, erloschen und spulten sich erneut ab.
«Na, also.» Nathanael ballte triumphierend die Faust.
Doch was er jetzt klar und deutlich vor sich sah, trübte nicht nur sein Siegesgefühl, sondern ließ seinen Magen zusammenkrampfen. Der Dämon war Tessa und ihrem Begleiter bereits dicht auf den Fersen, denn die Rücklichter des Wagens leuchteten direkt vor seinen Augen. Doch plötzlich riss die mentale Verbindung zum Dämon ab, als hätte jemand ein Kabel gekappt. Woher nahm er jetzt plötzlich die Kraft, sich zu widersetzen? Eine dunkle Vorahnung trieb Nathanael schneller vorwärts.
Dem Dämon war es gelungen, einen nicht zu unterschätzenden Vorsprung zu Nathanael zu gewinnen, der schwerlich aufzuholen war. Aber die Sorge um Tessa verlieh ihm ungeahnte Reserven. Die Bilder des Dämons waren präsent.
Er hatte eine Brücke gesehen, deren stählerne Tragseile sie als Hängebrücke identifizierte. Davon gab es nur eine in New York: die Brooklyn Bridge, die den East River überspannte. Dann erschien vor seinem geistigen Auge die Statue seines Vaters, von der er wusste, wo sie sich befand.
Der Dämon war auf dem Weg nach Sacred Hearts . Was wäre, wenn es ihm nicht gelang, ihm zuvorzukommen? Während er keuchend die Straße hinabrannte, kreisten unzählige Gedanken in völligem Chaos durch sein Hirn. Er malte sich die schrecklichsten Bilder aus, sah Tessa bereits tot in seinen Armen liegen und verspürte blankes Entsetzen.
Damals hatte ihn die Angst um Gina verrückt gemacht. Nein, er durfte sich nicht mehr von der quälenden Vergangenheit ablenken lassen, sondern zwang sich, sich auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren. Die Gegenwart war wichtig, Tessa war wichtig. Dieses Mal durfte er nicht versagen.
Warum zum Teufel gestand er sich nicht ein, dass da mehr war als nur sexuelle Anziehung? Sie hatte etwas in ihm geweckt, das lange verschüttet gewesen war: Gefühle. Tessa verkörperte alles, was er begehrte: Anmut und Schönheit. Sie konnte ihn um den Verstand bringen, wenn er in der Tiefe ihrer grünen Augen versank.
Gina war mit den Kämpfen zwischen den Engeln und Luzifers Anhängern vertraut gewesen, wusste, wie unstet und gefährlich sein Leben war, und hatte es akzeptiert.
Unwillkürlich fragte er sich, ob eine Frau wie Tessa, die niemals mit der dunklen Welt in Berührung gekommen war, sich jemals an seiner Seite auf einen Kampf gegen die Finsternis einlassen würde. Sie war ein gut situiertes, geordnetes Leben gewohnt, an der Seite eines einflussreichen Mannes. Plötzlich fühlte er sich noch miserabler als vorher.
Was grübelte er über Tessa nach? Er kannte sie doch kaum. Weil sie dich fasziniert und etwas in dir berührt, das du längst vergessen haben wolltest! Hinter ihrer kühlen Fassade verbarg
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