Nathanael
dass du nicht zu hart arbeitest. Du weißt doch, was wir noch alles vorhaben.» Es folgte eine Aufzählung von Aufträgen, die sie für ihn erledigen sollte, als wäre sie seine Sekretärin. Sie wollte etwas erwidern, aber ein Rauschen in den Ohren machte sie benommen.
«Hast du dir das alles aufgeschrieben? Du musst unbedingt, wenn ich zurück bin, deine Kontakte zu den Journalisten spielen lassen. Ich muss überall auf der Titelseite stehen», tönte Stevens Stimme aus dem Hörer.
«Ja, ja», antwortete sie geistesabwesend und versuchte durch langsames Atmen gegen den Druck in ihrer Brust zu arbeiten. Damals, als sie nach dem Überfall zum ersten Mal wieder den Supermarkt besuchte, war es ihr ähnlich ergangen.
«Ciao, Darling.»
«Ciao.» Tessa legte auf.
Sie sank aufs Bett und blieb so lange mit geschlossenen Augen liegen, bis der Schwindelanfall vorbei war. Durch die Ruhe normalisierte sich ihr Puls zwar, und auch das Rauschen hörte auf, doch der Druck auf der Brust blieb.
Vielleicht hätte sie Steven eben alles berichten und ihn darum bitten sollen, zu ihr zu kommen. Aber wäre er tatsächlich aus Europa von seinen wichtigen Geschäften zurückgekehrt, wenn sie ihm von Engeln und Dämonen erzählt hätte? Er hätte es nur auf Panikattacken und Depressionen geschoben und sie zu einem Psychiater geschickt.
Tessa vergrub das Gesicht in den Händen.
Die Erschöpfung verlangte ihren Tribut. Bevor sie noch einen Gedanken fassen konnte, schlief sie ein.
Ein beißender Geruch weckte sie. Draußen war es dunkel, nur die Nachttischleuchte brannte noch. Tessa drehte sich auf die Seite, als sie plötzlich erstarrte.
Unter der Tür quoll grauer Rauch ins Zimmer. Feuer! Ihre Angst aus dem kurzen Traum vorhin resultierte aus einer dunklen Vorahnung, genauso wie damals. Sie verfluchte sich selbst, weil sie wieder nicht darauf gehört hatte.
Schwester Bertha , schoss es ihr in den Kopf. Hastig wählte sie auf dem Telefon die 1, aber sie hörte nur ein leises Klicken. Die Leitung war tot.
Tessa raffte sich auf und kroch aus dem Bett. Ihre Muskeln krampften. Humpelnd lief sie zur Tür und fasste nach dem Knauf. Sie schrie laut auf, denn er war kochend heiß. Ihre Handfläche brannte so stark, dass ihr die Tränen in die Augen schossen.
Immer mehr Rauch drang in den Raum und breitete sich rasch aus. Vielleicht waren im Schrank Handtücher. Sie durchquerte hustend das Zimmer. In einer Schublade fand sie tatsächlich zwei Handtücher. Eines presste sie vor den Mund, mit dem anderen umwickelte sie den Knauf. Sie konnte ihn zwar drehen, aber die Tür sprang nicht auf. Tessa warf das Handtuch fort und trommelte verzweifelt mit der Faust dagegen. Sie wollte nicht sterben.
Wo waren die anderen? Waren sie etwa schon tot? Wie viel des Hauses war vom Feuer erfasst worden? Sie biss die Zähne zusammen und unterdrückte ihre Angst. Du darfst jetzt nicht schlappmachen. Denk nach, Tessa. Es gibt immer einen Ausweg.
Plötzlich züngelten Flammen unter der Tür hindurch und entzündeten die schmale Brücke. Tessa fasste sie an einer Ecke und versuchte das Feuer auszuschlagen. Immer wieder holte sie aus und schlug die Brücke auf den Boden, obwohl sie kaum noch atmen konnte. Schweiß rann ihr von der Stirn, es war unerträglich heiß.
Einige Funken wirbelten durch die Luft und entzündeten die Vorhänge. Im Nu brannten sie lichterloh.
Die Flammen breiteten sich in rasendem Tempo im Zimmer aus. Tessa warf sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Tür, doch sie gab keinen Zentimeter nach. Der Fluchtweg durch den Flur war abgeschnitten. Ihr blieb also nur das Fenster. Sie riss die brennenden Vorhänge herunter und warf sie hinter sich. Mit dem Handtuch, das sie vor ihren Mund gepresst hatte, öffnete sie den Fenstergriff.
Ein Schwall kühler Luft wehte herein. Die plötzliche Sauerstoffzufuhr ließ die Flammen noch höher schlagen.
Tessa lehnte sich keuchend zum Fenster hinaus. Sie wollte um Hilfe schreien, aber es endete in einem heiseren Krächzen. Ihr Hals brannte vom Rauch. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wenn sie überhaupt eine Chance besaß zu überleben, dann nur, wenn sie hinuntersprang. Sie sah nach unten und schrak angesichts der Tiefe zurück.
«Du hast keine andere Chance. Worauf wartest du noch? Spring», hörte sie eine Stimme hinter sich.
Tessa fuhr herum und stand einem ganz in Schwarz gekleideten Mann gegenüber, dessen bleiches, spitzes Gesicht seltsam irreal erschien. Er trat durch die Flammen,
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