Nathanael
auf dem Nachttisch lag. Tessas Hand legte sich an die Gesäßtasche ihrer Jeans, in der sich ihr Handy normalerweise befand. Aber außer einer Zwanzigdollarnote war sie leer. Sie musste das Handy im Schrank des Krankenhauses vergessen haben!
«Ja, danke. Kann ich mit dem Telefon auch nach draußen telefonieren? Ich möchte noch meinen Freund anrufen. Nur ganz kurz. Er macht sich bestimmt schon Sorgen, weil ich mich lange nicht gemeldet habe. Selbstverständlich bezahle ich Ihnen auch das Gespräch. Ich habe noch zwanzig Dollar bei mir. Das müsste reichen.» Sie zog den Schein aus der Tasche und reichte ihn der Ordensschwester.
Schwester Bertha nickte. «Natürlich. Neben dem Telefon liegt eine Beschreibung.»
Als die Schwester gegangen war, schleppte Tessa sich zum Bett und ließ sich fallen. Sie war sogar zu erschöpft, um sich auszuziehen und den Pyjama überzustreifen, den ihr die Schwester bereitgelegt hatte.
Sie streckte sich für eine Weile aus. Die Tablette begann zu wirken. Der stechende Schmerz in ihrem Kopf ließ nach, zurück blieb ein dumpfer Druck. Der erschreckende Traum von vorhin rückte in weite Ferne. Sie hatte die Engelsstatue gesehen und einen Alptraum gehabt. Mehr nicht. Und was Schwester Bertha betraf war sie einfach zu misstrauisch. Kein Wunder, bei dem, was sie erlebt hatte. Seufzend kuschelte sie sich in die Kissen.
Als sie die Augen schloss, sah sie wieder Nathanael vor sich, in dessen Armen sie sich sicherer gefühlt hatte als irgendwo anders. Sie sehnte sich danach, ihn wiederzusehen.
Das erinnerte sie wieder an Steven. Sie musste ihn anrufen. Der vertraute, nüchterne Klang seiner Stimme würde sie aus diesem Alptraum reißen und Nathanael vergessen lassen.
Tessa griff nach dem Telefon und wählte seine Handynummer. Es dauerte nicht lange, bis er sich meldete. Geschäftsmäßig distanziert wie immer, wenn er im Stress war.
Steven versprach, gleich zurückzurufen. Sicher saß er mit irgendwelchen Geschäftspartnern beim Lunch. Sie hörte, wie er mit jemandem flüsterte, bevor es in der Leitung klickte. Sicher verließ er jetzt den Tisch, um sich mit dem Handy in eine stille Ecke zurückzuziehen. Tessa trommelte mit den Fingern auf den Knien und wartete voller Ungeduld auf seinen Rückruf. Wenige Sekunden später war Steven am Apparat.
Seine Stimme klang so herrlich normal und löste damit die Anspannung in ihrem Körper, noch besser als Schwester Berthas Tee. Wenn ihr nur nicht so schwindlig wäre.
«Darling, was ist das für eine Nummer? Wo steckst du? Ich habe schon die ganze Zeit versucht, dich zu erreichen.» Er war außer Atem, seine Stimme klang vorwurfsvoll. Tessa wusste, sie sollte ihm die Wahrheit sagen, aber er würde ihr nicht glauben, sondern denken, dass ihre irrationalen Ängste wieder zurückgekehrt waren. Die Lüge floss wie von selbst über ihre Lippen.
«Ich bin bei einer Kollegin. Kein Grund zur Sorge. Wir müssen einiges aufarbeiten, auch am Wochenende. Du weißt ja, Howard ist ein wahrer Sklaventreiber», antwortete sie und lachte. Ihre Stimme war angespannt. Hoffentlich kaufte er ihr das ab.
«Was machen deine Geschäfte? Kommst du voran?», fragte sie hastig, um ihn von eventuellen Nachfragen abzulenken. Zu ihrer Erleichterung funktionierte es.
Steven erzählte von einem sehr erfolgreich verlaufenen Vertragsabschluss, der sein Vermögen um dreißig Millionen Dollar vergrößerte. Sie gratulierte ihm und versprach, nach seiner Rückkehr den Erfolg mit ihm zu feiern.
«Ja, ja», antwortete er knapp und redete voller Begeisterung über den steigenden Aktienindex. Es ist ihm egal, ob ich stolz auf ihn bin , fuhr es ihr in den Sinn. Immer öfter schlichen sich die Zweifel ein, ob ihre Beziehung überhaupt noch auf Gefühlen basierte oder eher geschäftsmäßig verlief, wie ein Deal. Das Kribbeln, das sie stets in Nathanaels Nähe empfand, war bei Steven nie vorhanden gewesen.
Während sie Steven zuhörte, fühlte sie sich immer seltsamer. Alles begann sich zu drehen. Panik stieg in ihr auf und ließ ihr Herz wie wild in der Brust hämmern. So war es auch damals nach dem Überfall gewesen. Der Psychiater hatte ihr erklärt, dass diese Panikattacken nach traumatischen Ereignissen wiederkehren könnten.
Tessa hörte Stevens Worten nur noch mit halbem Ohr zu.
Sie stand derart unter Spannung, dass sie laut hätte schreien können. Wurde sie jetzt vollends verrückt? Nicht verrückt, posttraumatisch , hörte sie den Arzt von damals sagen.
«Versprich mir,
Weitere Kostenlose Bücher