Nathanael
sich mehr, das spürte er, und er wollte es entdecken.
War er denn jetzt völlig durchgeknallt? Er wollte verdammt noch mal keine Gefühle haben oder sich verlieben, geschweige denn eine Beziehung eingehen. Basta. Er beruhigte sich damit, sie sowieso nicht mehr wiederzusehen, wenn er sie aus den Klauen des Dämons gerissen hatte.
Der pochende Schmerz in seinem Hinterkopf wurde stärker. Verdammte menschliche Seite. Nathanael rieb sich über die Beule, die zwar schon beträchtlich geschrumpft war, aber bei Berührung immer noch schmerzte.
Zu seinen Füßen lag endlich die Brooklyn Bridge. Er raste die Straße hinunter. Je weiter er sich dem East River näherte, desto mehr nächtliche Bummler schwärmten ihm entgegen. Da würde er ja eine Ewigkeit brauchen.
Um schneller voranzukommen, katapultierte er sich auf ein Garagendach, kletterte von dort aus im Hausschatten verborgen eine Fassade empor und setzte seinen Weg auf den Dächern fort. Hier oben kam er ungehindert voran und besaß den besten Ausblick über den Fluss bis nach Brooklyn, dessen Lichtermeer sich im Fluss spiegelte.
Niemand hätte hier den Aufenthalt höllischer Kreaturen vermutet, aber die malerische Kulisse war trügerisch. Die Boten Luzifers wagten sich in Abwesenheit Michaels vor.
Er kam viel zu langsam voran und besaß noch immer keinen Hinweis, ob sie tatsächlich in Sacred Hearts zu finden wäre. Da half nur, die Suche im Flug fortzusetzen. Diese Entscheidung ließ Nathanael hastig seine Jacke ausziehen, die er achtlos wegwarf, bevor er die Augen schloss.
Er konzentrierte sich auf die Kräfte in seinem Innern. Schon spürte er, wie die Energie in kräftigen Schüben durch seinen Körper jagte und sich im Rücken sammelte. Die Haut war heiß und begann zu spannen. Das Blut schien in seinen Adern zu sprudeln, als wäre es mit Kohlensäure angereichert worden.
Der Druck zwischen seinen Schulterblättern wuchs und riss ihn fast von den Füßen. Er breitete die Arme aus, um besser die Balance halten zu können. Fest presste er die Kiefer aufeinander, dann drang ein tiefes Stöhnen aus seiner Kehle. Immer stärker spannte sich die Haut über den Flügeln, die mit aller Macht nach draußen drängten. Heftiger Schmerz überrollte ihn, bis er glaubte, es nicht mehr aushalten zu können.
Als seine Flügel endlich Fleisch und Haut durchstießen, erlosch der Schmerz schlagartig. Die Schwingen fühlten sich leicht und beweglich an und entfalteten sich schneller, als er es in Erinnerung hatte. Das versetzte ihn in Euphorie, die sich immer schnell zerschlug, wenn die Schwingen abfielen. Danach fühlte er sich tagelang schlecht. Der Engelvirus , dachte er grimmig.
Nathanael atmete tief ein und erhob sich mit kräftigen Flügelschlägen in die Luft. In rasantem Tempo flog er zur Brücke. Aber es ging ihm nicht schnell genug, und er erhöhte die Schlagfrequenz. Er biss die Zähne zusammen und verlangte seinen noch jungen Schwingen Höchstleistung ab. Für Tessa.
Als er Brooklyn erreichte, atmete er erleichtert auf. Sacred Hearts lag genau vor ihm. Als er sich dem Areal in der Vogelperspektive näherte, stieg ihm ein beißender Geruch in die Nase. Von oben sahen die wuchtigen Mauern und ausladenden Dächer weniger dominant aus. Alles wirkte auf den ersten Blick normal, wenn sich nicht graue Rauchsäulen vor dem dunklen Himmel abgezeichnet hätten. Eine eisige Hand umfasste sein Herz. Tessa!
Nathanael schwebte über dem Gelände der christlichen Einrichtung, in dessen Vorgarten die mächtige Statue seines Vaters thronte, an dessen Fuß Gina damals in seinen Armen gestorben war. Kam er etwa erneut zu spät? Er verdoppelte seine Anstrengungen und näherte sich dem Gebäude mit mächtigen Flügelschlägen.
Die Flammen schlugen bereits meterhoch aus dem Dachstuhl des hinteren Schwesternhauses. Schaulustige eilten herbei, um den Brand zu beobachten. Aus der Ferne ertönte Sirenengeheul. Hatte Tessa hier tatsächlich Zuflucht gesucht? Der demolierte Wagen ihres Begleiters vor dem brennenden Haus lieferte den Beweis.
Das Feuer hatte bereits jedes Stockwerk ergriffen. Durch die Hitze platzten die Fensterscheiben mit einem lauten Knall. Glassplitter stoben in dichten Wolken durch die Luft und entlockten den Gaffern auf der anderen Straßenseite Entsetzensschreie. Aus dem Dachstuhl loderten die Flammen empor. Wenn Tessa sich in diesem Haus befunden hatte, kam jede Hilfe zu spät. Niemand könnte dieser Feuerhölle entgehen.
Zum ersten Mal gestand er sich ein,
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