Nathanael
Deshalb musste sie auf ihn zuhause warten, um ihm zu sagen, dass sie die Flammenhölle überstanden hatte.
«Ich muss mit meinem Bruder sprechen. Versteh doch. Wenn er von dem Brand gehört hat, wird er außer sich sein. Er glaubt vielleicht, dass ich tot bin. Das kann ich ihm nicht antun!»
Sie fing im Rückspiegel Aarons nachdenklichen Blick auf. Lässig zog er aus der Brusttasche seines Hemds ein Handy und hielt es ihr über die Schulter hin.
«Hier. Sag ihm, dass es dir gut geht und du an einen sicheren Ort gebracht wirst.» Er sprach völlig akzentfrei und besaß ein sehr angenehm weiches Timbre in der Stimme, das nicht zu seiner strengen Ausstrahlung passte.
Zögernd nahm Tessa das Handy entgegen und wählte Ernests Nummer. Nervös krallten sich ihre Finger in Nathanaels Sitzlehne. Hoffentlich hatte sie Glück, ihn zu erwischen. Wie befürchtet meldete Ernest sich nicht und sie gab seufzend auf.
«Mist. Er ist nicht zu Hause. Ich muss ihn erreichen.» Enttäuscht ließ Tessa die Hand mit dem Handy sinken. Welche Angst musste Ernest um sie ausstehen, wenn er von dem Feuer erfahren würde! Vielleicht war er schon in Sacred Hearts ?
«Hat er kein Handy?», fragte Nathanael. Tessa schüttelte den Kopf. «Mein Bruder kann diese moderne Technik nicht ausstehen.»
«Dann schicken wir Joel auf die Suche», schlug Aaron vor.
Nathanael nickte. «Einverstanden. Da kann sich unser Youngster seine Sporen verdienen. Ich ruf ihn gleich an.» Mit einer Geste bedeutete er Tessa, ihm das Handy zu reichen.
«Wer ist Joel?»
«Einer von uns», antwortete Aaron.
«Einer von euch?»
«Ein Blutengel.»
«Ach, ja, richtig.» Die beiden mussten sie ja für blöd halten, aber ihr Kopf funktionierte einfach noch nicht wieder hundertprozentig.
Nathanaels Kraft und Wendigkeit, seine Ausstrahlung, das hätte sie alles auch viel eher erkennen müssen. Wie blind sie gewesen war …
Nathanaels Blick ruhte nachdenklich auf ihr, während er mit diesem Joel sprach. Der warme Glanz darin war wie Balsam für ihre aufgewühlten Nerven.
«Joel hat versprochen, deinen Bruder zu suchen. Er wird ihm sagen, dass du lebst und in Sicherheit bist», sagte er und reichte Aaron das Handy zurück.
«Danke.» Sie kuschelte sich tiefer in den Wollstoff von Nathanaels Pullover.
«Du bist so blass. Alles okay?», fragte er sanft und sah sie mit besorgter Miene an. Diese Fürsorge war sie nur von Ernest gewohnt. In seiner dunkelbraunen Iris erkannte sie goldene Einsprengsel. Sie hätte ihm ewig in die Augen blicken können. Sein charmantes Lächeln fesselte, und der liebevolle Ausdruck in seinem Blick ließ tausend Schmetterlinge in ihrem Bauch flattern.
«Tessa? Alles okay?» Ihr wurde bewusst, seine Frage noch nicht beantwortet zu haben.
«Ja. Ehrlich gesagt, nein. Ich fühle mich, als wäre ich beim Sparring K.o. geschlagen worden. Ich hab einen Brummschädel und mir ist entsetzlich kalt.» Tessa verschränkte die Arme vor der Brust und drückte sich tiefer ins Sitzpolster.
«Das sind die Auswirkungen des Schocks. Du hast viel mitgemacht, erst im Parkhaus …»
Tessa zuckte zusammen und er brach ab. Was sagte er da vom Parkhaus? Er konnte doch gar nicht davon wissen, es sei denn …
« Du hast diesen Dämon von der Kühlerhaube gerissen?»
Nathanael nickte.
«Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Damit hast du mir dann heute Nacht zweimal das Leben gerettet. Und meinem Bruder natürlich auch …»
«Schon gut.» Nathanael winkte ab.
«Wieso warst du immer genau zur richtigen Zeit zur Stelle? Bist du mir schon die ganze Zeit gefolgt?»
«Nein, ich jage den Gefallenen und seine Dämonen.»
Gefallene und Dämonen jagen, das war mehr als riskant. Sie selbst hatte es live erlebt. Nur zu deutlich spielte sich die Szene erneut vor ihren Augen ab, in der Straße vor Hazels Wohnblock, den Kampf um Leben und Tod, den der Engel durch ihre Ablenkung für sich entscheiden konnte.
«Dann riskierst du jeden Tag dein Leben!», rief sie aus.
«Ja, das ist unser Job.» Die beiden Männer grinsten.
«Das finde ich überhaupt nicht witzig. Müsst ihr das machen?»
Nathanaels Miene wurde ernst. «Es ist unsere Aufgabe, Tessa.»
Tessa schluckte gegen den harten Kloß in ihrem Hals. «Jetzt sagt nur noch, ihr hättet sie von Gott bekommen.»
«Nein, von unseren Vätern», antwortete er ruhig.
Tessa rollte mit den Augen. «Wie kann ein Vater seinen Sohn einer solchen Gefahr aussetzen? Noch dazu, wenn er ein Engel ist.»
«Mein Vater ist ein
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